50 shades of brain > 52 Der Gennari-Streifen

Ich habe den Gennari-Streifen leider nie gesehen, obwohl ich damals als Student der Medizin auch einen Hirnanatomischen Kurs bei Frau Prof. Dr. (den Namen habe ich vergessen, aber nicht die attraktive Professorin für Neuroanatomie…) … und Prof Loeweneck (sein immer verkniffenes Gesicht bleibt mir auch immer im Gedächtnis…) besucht hatte.

Damals war ich noch nicht reif für die Medizin, geschweige denn für die Anatomie…

Das ist schon phantastisch: Da findet ein Forscher vor nahezu 250 Jahren eine Struktur im Gehirn – und 250 Jahre später frägt sich immer noch keiner, welche Funktion dahinter liegen könnte bzw. stellt sie in den Dienst des Sehens und dann stellt sich mit modernsten Verfahren heraus, dass diese Struktur eine ganz andere Bedeutung haben könnte.

Gennari hat mit unbewaffnetem Auge, noch vor der Entdeckung des Mikroskops, eine Struktur des Gehirns gefunden, die zu recht seinen Namen trägt: Es handelt sich um einen Streifen des Hinterhauptslappen im Sehzentrum des Gehirns…

Im Mittel eines Tals von Himmel-hohem Eise,
Wohin der wilde Nord den kalten Thron gesetzt,
Entsprießt ein reicher Brunn mit siedendem Gebräuse,
Raucht durch das welke Gras und senget, was er netzt.
Sein lauter Wasser rinnt mit flüssigen Metallen,
Ein heilsam Eisensalz vergüldet seinen Lauf;
Ihn wärmt der Erde Gruft, und seine Fluten wallen
Vom innerlichen Streit vermischter Salze auf:
Umsonst schlägt Wind und Schnee um seine Flut zusammen,
Sein Wesen selbst ist Feur und seine Wellen Flammen.

52 Der Gennari-Streifen

Titelseite und Zeichnung aus Gennaris „De Peculiari Structura Cerebri“; Quelle:

Gennari-Streifen (Vicq-d’Azyr-Streifen, s.d., Brodmann-Areal: primär visueller cortex BA17, s.d., lat. Stria occipitalis, engl. Stria of Gennari, line of Gennari)

Der Gennari-Streifen ist derjenige Teil des äußeren Baillarger-Streifens (s.d., einem tangential verlaufenden Nervenfasergeflecht in der inneren Körnerschicht des Isocortex, s. Exkurs), der innerhalb der Sehrinde so stark ausgeprägt ist, dass er bereits mit bloßem Auge als weißer Streifen erkennbar ist (als erster gesehen hat ihn aber nur Gennari…) – so wie der Jupiter am Sternenhimmel gen Süden auch mit bloßem Auge sichtbar ist….

Dieses okzipitale Rindenfeld, in dem die Sehbahn im Bereich des Sulcus calcarinus endet, wird daher auch als Area striata bezeichnet (lat.: gestreift) – nicht zu verwechseln mit dem Striatum!

Hintergrund & Insiderwissen (Host mi…, auf Deutsch: Hast Du`s verstanden…)

Der helle Gennari-Streifen ist das makroskopische Korrelat einer besonders ausgeprägten Lamina IV des Isocortex in der primären Sehrinde. An dieser Stelle enden die dicht gepackten myelinisierten Fasern aus dem seitlichen Kniehöcker (Corpus geniculatum laterale, CGL) des Thalamus in der Lamina IV, wodurch diese in drei Bereiche aufgeteilt werden kann: Lamina IV a, b, c. Dabei stellt die Lamina IV b den Gennari-Streifen da.

Was gibt es Neues vom Gennari-Streifen?

Wie aktuell diese Gennari-Streifen sind, ergibt sich aus folgender Veröffentlichung:

Auch Blinde besitzen Gennari-Streifen im Gehirn

22. Februar 2011 (© MPI für Kognitions- und Neurowissenschaften)

Nervenbündel im Sehzentrum des Gehirns könnte bei blinden Menschen Berührungen verarbeiten

Auch im Gehirn von Geburt an blinder Menschen bildet sich in der Sehrinde der so genannte Gennari-Streifen und degeneriert trotz fehlender Sehinformation nicht. Das stellten Forscher um Robert Trampel (keine Daten…) vom Max-Planck-Institut (MPI) für Kognitions- und Neurowissenschaften mit Hilfe der Magnetresonanztomografie (MRT) fest. Der etwa 0,3 Millimeter dicke Strang von Nervenfasern ist demnach nicht nur für optische Informationen zuständig. Bei Blinden verarbeitet er möglicherweise in erhöhtem Maße taktile Reize. Das könnte zu einer Schärfung des Berührungssinns beitragen und etwa das schnelle Lesen von Braille-Schrift unterstützen.

Der Gennari-Streifen durchzieht als gut sichtbare Linie die graue Substanz in der primären Sehrinde im visuellen Kortex des Gehirns. „Obwohl der visuelle Kortex zu den am meisten untersuchten Gebieten im Gehirn zählt, und der Gennari-Streifen eine recht auffällige Struktur ist, wurde bisher nie genauer erforscht, warum er sich bildet und was seine Funktion ist“, sagt Robert Trampel, Mitarbeiter der Abteilung Neurophysik am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften. „Vermutet wurde naheliegenderweise ein Zusammenhang mit dem Sehen“.

Das kann jedoch, wie sich nun zeigte, nicht die einzige Funktion des Gennari-Streifens sein: Bei einer Magnetresonanztomografie-Studie mit extrem hoher Auflösung fanden ihn die MPI-Forscher im Gehirn geburtsblinder Menschen. „Die Hirnstruktur verarbeitet also zumindest nicht ausschließlich visuelle Reize, sondern muss in der Lage sein, auch andere Aufgaben zu übernehmen“, sagt Derek Ott (keine Daten), einer der Ko-Autoren der Studie. Einiges spreche dafür, dass der Gennari-Streifen zu einer Schärfung des Berührungssinns beitragen könnte. Denn gerade die Region, in der sich der Streifen befindet, weist – wie bereits bekannt ist – bei Blinden während des Braille-Lesens eine erhöhte Aktivität auf. Alle Probanden der Studie waren erfahren im Lesen der Blindenschrift und hatten sich auf eine in Braille geschriebene Anzeige in einer Zeitung für Blinde gemeldet.

Eine wichtige Funktion hat der G-Streifen möglicherweise bereits in den ersten Lebensjahren, vermutet der englische Arzt Robert Turner (geb. 1946), der Leiter der Abteilung Neurophysik. Bei blinden Menschen nutzt das Gehirn taktile und akustische Reize, um auch ohne visuelle Informationen eine ungefähre räumliche Vorstellung von der Umwelt zu erzeugen. Der Gennari-Streifen könnte dafür eine Rolle spielen und später die Feinwahrnehmung von Berührungsreizen unterstützen, die beim Braille-Lesen besonders gefordert ist. Studien mit funktioneller Magnetresonanztomografie sollen demnächst genauere Informationen über die Arbeit des vielseitigen Nervenbündels liefern.

Der Gennari-Streifen (rechts bei sehenden Probanden, links bei blinden) zeigt sich im MRT als feine dunkle Linie in der um den Sulcus calcarinus (weiß) angeordneten primären Sehrinde. Zur Untersuchung solcher extrem dünnen Strukturen am lebenden Menschen nutzen die Forscher einen Hochleistungs-Magnetresonanz-Tomografen mit einer Feldstärke von 7 Tesla.

Francesco Gennari

(* 4. Oktober 1750 in Mataleto de Langhirano, heute Mattaleto bei Parma; † 4. Dezember 1797)

war ein italienischer Anatom des 18. JH.

Francesco Gennari

Biographisches

Gennari erhielt seine medizinische Ausbildung in Parma, zu seinen Lehrern zählte der Pathologe und Anatom Michele Girardi (1731–1797). 1776, im Jahr seines Abschlusses, entdeckte Gennari mit bloßem Auge eine weiße Struktur am Okzipitallappen eines menschlichen Gehirns.

In seiner Schrift „De peculiari structura cerebri, nonnulisque ejus morbis“ (Über eine eigentümliche Struktur des Gehirns und einiger seiner Krankheiten, 1776 bzw. 1782?) beschrieb er diese Streifen als lineola albidior.

1786, also 10 Jahre später, beschrieb Félix Vicq d’Azyr (s.d.) in Unkenntnis der Veröffentlichung Gennaris die Struktur erneut, weshalb sie auch die Bezeichnung Vicq-d’-Azyr-Streifen trägt.

1788 erfolgte eine neue bzw. weitere Beschreibung durch Samuel Thomas Soemmering (s.d.).

Die über 100 Jahre später (1888) von dem österreichischen Neurologen Heinrich Obersteiner (s.d.) erstmals als „Gennari-Streifen“ bezeichnete Struktur war der erste Hinweis auf die regional unterschiedliche Schichtung der Großhirnrinde.

Werke, Literatur & Veröffentlichungen

Gennari, F: De peculiari structura cerebri, nonnulisque ejus morbis (Parma, 1782)