50 shades of brain > 33 Déjérine: Déjérines Fasern
Quelle

Wenn Willis „der Newton“ der Neuroanatomie ist, dann ist Déjérine ihr Papst. Keiner hat der Neurologie so oft seinen Namen eingebrannt wie er. Keiner vergab so großzügig seinen Freunden und Spezl`n Eponyme.

 Aber nur paar Fasern im Gehirn tragen seinen Namen.  Ich musste lange suchen, bis ich ein paar davon im Hirn fand…

Trotzdem: An Déjérine kommt keiner vorbei… Fasern und Bündel beschreiben nicht sein Leben… Sein Leben, das war die schier unendliche Anzahl von neurologischen Syndromen und Syndrömchen, mit denen er sich und anderen einen Namen machte…

Die graue Eminenz der grauen Zellen…
Ein junger Schäfer stimmt indessen seine Leier,
Dazu er ganz entzückt ein neues Liedgen singt,
Natur und Liebe gießt in ihn ein heimlich Feuer,
Das in den Adern glimmt und nie die Müh erzwingt;
Die Kunst hat keinen Teil an seinen Hirten-Liedern,
Im ungeschmückten Lied malt er den freien Sinn;
Auch wann er dichten soll, bleibt er bei seinen Widdern,
Und seine Muse spricht wie seine Schäferin;
Sein Lehrer ist sein Herz, sein Phöbus seine Schöne,
Die Rührung macht den Vers und nicht gezählte Töne

33 Déjérines Fasern

1. Déjérine Faszikel (lat. Fasciculus fronto-orbitalis)

Es soll sich aber um den Fasciculus fronto-occipitalis oder auch F. occipito-frontalis handeln– angeblich auch bekannt als Bündel von Anton (s.d.), Muratoff (s.d.), Wernicke (s.d.), Obersteiner (s.d.) -Redlich (s.d.) …

(Diese Bündelanatomen gehen mir auf den Geist…)

2. Déjérine-Bündel (lat. Tractus spino-thalamicus anterior, engl. anterior spinothalamic tract)

Es handelt sich dabei um eine aufsteigende Faserbahn der Vorder-Seitenstrangbahn (Funiculus antero-lateralis). Über sie werden grobe Mechanosensorik, z.B. über Ruffini*-Körperchen oder Merkel*-Zellen über mittelstark myelinisierte Aβ-Fasern*, sowie viszero-sensible Stimuli nach zentral vermittelt.

Das Bündel liegt ventral des Vorderhorns (Cornu anterius) der grauen Substanz innerhalb der Substantia alba des RM und bildet zusammen mit den sich lateral anschließenden Tractus spino-reticularis und Tractus spino-tectalis die funktionelle Vorderseitenstrangbahn des antero-lateralen Systems des RM.

NB: Schmerz- und Temperaturempfindung wird dagegen über den Tractus spino-thalamicus lateralis ins Gehirn geleitet.

Hintergrund & Insiderwissen (für Mediziner… Sie wissen schon…)

Die Bahn hat drei Schaltstationen:

1. Neuron: Spinalganglion

2. Neuron: Ipsilaterales Hinterhorn

3. Neuron: Nuc ventralis postero-lateralis des Thalamus

Das 1. Neuron dieser Bahn liegt im Spinalganglion. Die ins RM verlaufenden Fasern werden im Hinterhorn (HH, Cornu posterius medullae spinalis) zunächst auf Interneurone* der Laminae I und II und von dort auf Strangzellen besonders der Lamina V umgeschaltet (Rexed-Schichten, s.d.). Deren afferente Fasern kreuzen zumeist (ca. 80%) auf Segmenthöhe durch die Commissura alba anterior zur Gegenseite und projizieren schließlich als Teil des antero-lateralen Systems nach zentral. Ungefähr 20% der Fasern kreuzen erst in der MO. Die Fasern lagern sich im Hirnstamm dem Lemniscus medialis an, der vom Fasciculus gracilis (Goll, s.d.) und Fasciculus cuneatus (Burdach, s.d.) gebildet wird.

Die Fasern des Tractus spino-thalamicus anterior enden an den Neuronen des Nuc ventralis postero-lateralis des Thalamus, deren Axone auf den primären und sekundären somatosensorischen Cortex (SI, SII) des Gyrus postcentralis projizieren.

Klinische Bedeutung

Bei einer Läsion des Vorder-Seitenstrangs kommt es kontralateral einer Verletzung unterhalb des betroffenen Segments zu einer Herabsetzung der groben Druck- und Berührungsempfindung.

Nach Déjérine wurden auch benannt:

Déjérine-(Lichtheim-)Phänomen: bei der reinen, d.h. subkortikalen motorischen Aphasie die Fähigkeit, Silbenzahl und Betonung von Wörtern durch Klopfzeichen wiederzugeben.

Déjérine-Zeichen: Verstärkung der Radikulitis-Symptome durch Husten, Niesen, Pressen

Déjérine Syndrom I (diphtherische Pseudotabes)

Déjérine Syndrom II

Déjérine-Mouzon-Syndrom

Déjérine-Roussy-Syndrom: posterolaterales Thalamussyndrom

Déjérine-Sottas-Syndrom: Typ III der hereditären motorisch-sensiblen Neuropathie; wahrscheinlich autosomal-rezessiv (auch dominant?) erbliche neurale Muskelatrophie infolge Wucherung der Schwann-Zellen (s.d.). Neuropathie mit tumorartiger Wucherung des perineuralen Gewebes u. sekundärer Zerstörung von Myelinhüllen u. Achsenzylinder.

Déjérine-Thomas-Atrophie: Degenerative Systemerkrankung von KH, Brücke u. Olivenkernen; Ausprägungsform der Multisystematrophie. Klinik: an Beinen beginnende zerebellare Ataxie, später Blasen-Mastdarm-Inkontinenz, Demenz, evtl. Rigor u. Parkinson-ähnliche Symptome. Außer der sporadischen o. A. („SOPCA“, Déjérine-Thomas-Syndrom) auch erbliche (familiäre = „FOPCA“) Formen, z.B. Typ Menzel, Fickler-Winkler, Schut-Haymaker.

Déjérine-Neurotabes

Muskeldystrophie Landouzy-Déjérine-Syndrom: Fazio-skapulo-humerale Muskeldystrophie

Déjérines „onion-peel sensory loss“

Déjérines cortical sensory syndrome

Déjérines hand-bow phenomenon

Déjérine-Klumpke-Lähmung: bei Schädigung der C8/T1-Anteile des Armplexus; Klinik: Ausfälle der kleinen Handmuskeln u. der Handbeuger sowie der ulnarseitigen Sensibilität; bei Läsion der Wurzel T1 Horner-Syndrom.

Déjérine-Spiller-Syndrom

(Diese Inflation an egozentrischen Eponymen macht Einen sprachlos…

Joseph Jules Déjérine (Jules Joseph Déjérine)

* 3. August 1849 in Genf; † 26. Februar 1917 in Paris),

war einer der führenden französischen Ärzte und Neurologen im Paris des 19./20. JH.

Joseph Jules Déjérine

Biographisches

Déjérine wurde 1849 in Plainpalais in der Nähe von Genf geboren. Von 1868 bis 1870 besuchte er die Académie in Genf, wo er das Abitur ablegte. 1871 fing er mit dem Studium der Medizin in Paris an. Am 1. Januar 1875 begann er sein Internat, bestand seine Doktorexamina und begann im Laboratorium für vergleichende Pathologie von Alfred Vulpian (1826-1887) zu arbeiten. Seine Doktorarbeit (1879) hatte den Titel „Untersuchungen über Störungen des Nervensystems bei der akuten aufsteigenden Lähmung“.

1879 wurde er zum „Chef de Clinique“ im St. Louis Hospital ernannt. Hier machte Déjérine 1880 die Bekanntschaft der deutschstämmigen US-Amerikanerin, Augusta Klumpke(1859-1927), die er 1888 heiratete und die seine enge Mitarbeiterin wurde.

Von 1887 bis 1894 leitete Déjérine die Neurologische Klinik im Hôpital Bicêtre, ab 1894 die Klinik des „Pavillon Jacquart“ am Hôpital Salpêtrière.

Le Kremlin-Bicêtre; Quelle: doctolib

Von 1900 bis 1911 war er zugleich Professor für Geschichte der Medizin, dann für die „Pathologie Interne“, setzte aber seine Vorlesungen an der Salpêtrière fort. 1911 wurde er Professor der „Klinik für die Krankheiten des Nervensystems“.

1916 erkrankte er an Urämie und starb am 26. Februar 1917 in Paris.

Seine letzte Ruhestätte fand er auf dem Friedhof Père Lachaise (dort findet man auch Apollinaire, Balzac, irgendeinen Casanova, unseren bereits bekannten Cuvier, Guillotin, den Meister des Kopfabhackens, Hanemann, irgendeinen Mac Donald, Molière, Jim Morrison von den Doors, Oscar Wilde und die Zuckerkandl….

Wissenschaftliches Werk

Déjérine lieferte grundlegende Beiträge zur Erforschung der Aphasie. Der Begriff der „reinen motorischen Aphasie“ geht auf ihn zurück (verwendet bloß keiner…).

Er beschäftigte sich auch mit dem Studium der Stereoagnosie. Er konnte zeigen, dass dieses Syndrom in Verbindung mit Störungen der Oberflächen- und Tiefensensibilität besteht.

Die Arbeiten von Déjérine über die Pathologien des RM und der Muskulatur umfassen über 100 Veröffentlichungen.

Quelle, Werke & Veröffentlichungen

Note sur l’état de la moelle épinière dans un cas de pied bot équin (Archives de Physiologie, 1875)

Recherches sur les lésions du système nerveux dans la paralysie ascendante aiguë (Paris, 1879)

L’héredité dans les maladies du système nerveux (Paris, 1886)

Perte du sens stéréognostique à topographie radiculaire (Revue Neurologique, 1904)

mit Augusta Marie Déjérine-Klumpke: Anatomie des centres nerveux (2 Bände, Paris, 1895 und 1901)

mit Augusta Marie Déjérine-Klumpke:Sémiologie des affections du système nerveux (Ed. Masson, Paris, 1914)

mit André Thomas: Traité des maladies de la moëlle épinière (Paris, 1902)