50 shades of brain > 15 Die Bergmann-Glia (BGZ)

Wie zum Teufel kommt es, dass dieser exotische Spinner („Irrenarzt“) Bergmann, der sein Chordensystem wie ein Heilsbringer der ganzen Welt anzudrehen versuchte, zum Entdecker und Namensgeber dieser mittlerweile als essentiell für die Entwicklung des Gehirns angesehenen „Bergmann-Glia“ wurde. Ich habe zunächst an einen Irrtum geglaubt, d.h. es müsste sich um einen anderen Bergmann, am besten einen der Gegenwart gehandelt haben.

Dazu kam, dass der Name auch noch oft falsch geschrieben war („Gottlieb“). Wer zum Teufel hatte die Idee, diese Glia nach ihm zu benennen? Ich muss die Antwort schuldig bleiben…

Die Lösung dürfte aber wohl darin zu suchen sein, dass er sich in seinem Buch „Untersuchungen über die Structur der Mark- und Rindensubstanz des großen und kleinen Gehirns“ von 1841 wohl extensiv mit eben diesen Hirnschichten auseinandersetzte.   

Jedenfalls ist mir die Bergmann Glia als Neurochirurg nie begegnet und war mir auch nie ein Begriff (bis heute…). Und trotzdem werde ich bei dem Namen Bergmann eher mit Grausen an Augapfelenukleationen denken als an seine Glia….

Es ist schon auch irgendwie ungerecht: Da beschreibt ein „verrückter“ Psychiater vor fast 200 Jahren (!) im Kleinhirn einen besonderen Zelltyp, der sich als so wichtig herausstellte, dass er aktuell wieder im Interesse der Hirnforschung steht…

Die Bergmann-Glia bzw. Bergmannzelle dient dabei als Leitstruktur im wachsenden und sich entwickelnden Kleinhirn, sozusagen ein Ariadnefaden, an dem sich die übrigen Zellen entlangorientieren…. (Hänsel & Gretel haben es auch so gemacht, um aus dem Wald rauszufinden… sie fanden das Hirn vor lauter Neuronen nicht mehr… 

Dort eilt ein schnelles Blei in das entfernte Weiße,
Das blitzt und Luft und Ziel im gleichen jetzt durchbohrt;
Hier rollt ein runder Ball in dem bestimmten Gleise
Nach dem erwählten Zweck mit langen Sätzen fort.
Dort tanzt ein bunter Ring mit umgeschlungnen Händen
In dem zertretnen Gras bei einer Dorf-Schalmei:
Und lehrt sie nicht die Kunst, sich nach dem Takte wenden,
So legt die Fröhlichkeit doch ihnen Flügel bei.
Das graue Alter dort sitzt hin in langen Reihen,
Sich an der Kinder Lust noch einmal zu erfreuen.

15 Die Bergmann-Glia (BGZ)

Bergmanns Glia (Bergmann-Glia-Zellen -> BGZ, Bergmannsche Gliafasern, Golgi-Epithelzelle, engl. „Golgi epithelial cells“)

Bergmann beschrieb 1857 radiäre Fortsätze von Astrozyten im Katzen- und Hundehirn. Ramón y Cajal nannte sie „Glia mit blassen Zellkörpern

Es handelt sich dabei um kandelaberförmige Fortsätze eines besonderen Astroglia-Zelltyps, der Golgi-Epithelzelle im Kleinhirn. Die Zellkörper dieser Zellen liegen am Übergang der Körnerschicht zur Purkinje-Zellschicht. Die Bergmann-Glia zieht dabei radiär durch die Molekularschicht und bildet mit ihren Enden die oberflächliche Glia-Grenzschicht. Sie liegt zwischen den Purkinjezellen im Stratum purkinjense.

Sind es nun Zellen? Fasern? Glia? Gehen wir mal davon aus, dass es sich um Zellen handelt, natürlich mit speziellen radialen Fortsätzen (Fasern also…), die dann einen dichten Filz bilden (eine Glia also…)

In der Entwicklung des Kleinhirns (KH) dienen diese Zellen den auf- und abwandernden Neuronen als Leitstruktur. Im erwachsenen KH bilden sie die Membrana gliae limitans superficialis.

Hintergrund & Insiderwissen

Neben den im gesamten ZNS verbreiteten Oligodendrozyten, Astrozyten und Mikroglia finden sich in der Kleinhirnrinde zusätzlich drei spezielle Gliazelltypen:

Flügelastrozyten haben Flügel- oder schaufelförmige Fortsätze, mit denen sie die Glomerula cerebellaria umgeben.

Die gefiederte Glia von Fañanas (s.d.), die im Stratum moleculare sowie Stratum purkinjense liegt und sich histologisch nur mit einer speziellen Gold-Färbung darstellen läßt. Man unterscheidet dabei nach der Anzahl der Ausläufer 3 Typen: Fañanas-Zellen mit einem, mit zwei und mit mehreren Ausläufern.

Bergmann Gliazellen (radial epithelial cells, Golgi epithelial cells, radial astrocytes) sind unipolare Astrozyten, die eng verknüpft sind mit den Purkinje cells (s.d.) im Kleinhirn. Sie verrichten viele charakteristische Aufgaben von Astrozyten, weshalb man sie auch „spezialisierte Astrozyten“ nennt.“

Sie helfen bei der Migration von granulären Zellen und führen kleine Neuronen von der äusseren granulären Schicht zur inneren granulären Schicht des Cortex entlang ihrer radiären Fortsätze. Neben ihrer Rolle in der frühen Entwicklung des Kleinhirns ist die B-Glia auch nötig für die Bildung von Synapsen (synaptic pruning). Kommt es infolge einer Hirnschädigung zum Purkinjezelltod unterziehen sich BGZ einem extensiven proliferativen Wandel und ersetzen geschädigtes oder untergegangenes Gewebe, ein Prozess, den man als Gliose bezeichnet.

BGZ (radial glia) sind auch beteiligt bei der Bildung von Grenzstrukturen zwischen versch. axonalen Faserbündeln und Arealen der weißen Substanz des Gehirns.

Klinische Bedeutung

Da die Radiale Glia neurale und gliale Vorläuferzellen im Gehirn darstellt und wesentlich ist für eine ordnungsgemäße neurale Migration, haben Defekte dieser Funktion schwerwiegende Folgen in der Entwicklung des Nervensystems.

Mutationen der Proteine Lis1 oder Nde1 (essentielle Proteine für die radiale gliale Differenzierung und Stabilisierung) verursachen assoziierte neurale Entwicklungsstörungen wie Lissenzephalie und MikroLissenzephalie (“smooth brain”). Patienten mit diesen Erkrankungen weisen einen Mangel kortikaler Faltung (Sulci und Gyri) auf und haben ein reduziertes Hirnvolumen. Extreme Fälle führen zum Tod innert weniger Monate nach Geburt, während mildere Formen zur geistigen Retardierung führen, zu Gleichgewichtsstörungen, motorischen und sprachlichen Defiziten und auch zu Epilepsie

Was gibt es Neues von der Bergmann-Glia?

Der Untergang der neuralen Progenitorzellen wird auch in Verbindung gebracht mit dem Moskitovirus Zika. Epidemiologische Untersuchungen legen es nahe, dass Infektionen des Embryos mit dem Zikavirus innerhalb der ersten zwei Trimester der Schwangerschaft zu fetalen Geburtsdefekten und auch zur Mikrozephalie führen können.

Exkurs: Zur Geschichte der Färbemethoden in der Hirnforschung

Camillo Golgi (s.d.) beschrieb 1885, unter Anwendung seiner Silberfärbetechnik („Golgi-Methode“), als erster radiär orientierte Zellen, welche vom Zentralkanal bis zur (äußeren) Oberfläche des embryonalen RM des Huhns reichen.

Unter Anwendung dieser Färbemethode konnte Giuseppe Magini (1851-1916) 1888 den zerebralen Cortex des fetalen Säugetiers studieren und bestätigte dabei die Präsenz dieser elongierten radiären Zellen im Cortex (welche allerdings bereits Kölliker, s.d. vor ihm entdeckte…). Er beschrieb auch verschiedene „Schwellungen“ dieser radialen Fasern “ (various varicosities or swellings” on the radial fibers). Magini beobachtete auch, dass Größe und Anzahl dieser Schwellungen während der Entwicklung des Gehirns zunahmen und beim adulten Nervensystem fehlten. Magini nahm daher an, dass diese Schwellungen sich entwickelnde Neuronen seien. Indem er die Golgi-Methode mit der Hämatoxylin-Färbung (HE-Färbung) kombinierte, war er imstande, diese Schwellungen zu identifizieren, wobei einige von ihnen sehr eng mit den radialen Fasern assoziiert waren.

Weiter Arbeiten, welche wichtig waren, um Identität und Funktion der radialen Glia aufzuklären, wurden von Ramón y Cajal (s.d.) durchgeführt, der als erster vorschlug, dass die radialen Zellen wegen ihrer Ähnlichkeit zu Astrozyten einen bestimmten Gliazelltypus darstellten, und von Wilhelm His (s.d.), der die Idee hatte, dass wachsende Axone diese radialen Zellen zur Orientierung und als Wegweisung während ihrer Entwicklung. benützen könnten.

Trotz dieses frühen Interesses an der radialen Glia konnte nur wenig zusätzliche Information über diese Zellen gewonnen werden. Dies änderte sich erst etwa 60 Jahre später mit der Entwicklung der Elektronenmikroskopie und der Immunhistochemie.

Exkurs: Das Kleinhirn (KH, lat. cerebellum)

ist ein Teil des Gehirns. Es lagert sich dem Hirnstamm hinten auf und befindet sich unterhalb der Okzipitallappen des Großhirns in der hinteren Schädelgrube (HSG). Zusammen mit dem verlängerten Mark (Medulla oblongata, MO, Myelencephalon, „Markhirn“) und der Brücke (Pons) bildet es das Rautenhirn (Rhombencephalon). KH und Brücke werden als Hinterhirn (Metencephalon) zusammengefasst.

Das Kleinhirn ist beim Menschen dem Volumen nach der zweitgrößte Teil des Gehirns, besitzt aber eine deutlich höhere Zelldichte als das Großhirn. So macht das menschliche KH beim Erwachsenen mit etwa 150 g nur etwa ein Zehntel des durchschnittlichen Hirngewichts aus, doch enthält es mit knapp 70 Milliarden Nervenzellen etwa vier Fünftel, also den Großteil aller zentralnervösen Neuronen. Die Oberfläche der KH-Rinde ist in feine blattförmige Windungen (Folia cerebelli) gefaltet und entspricht etwa 50–75 % der Rindenoberfläche der achtmal größeren Großhirnhemispären.

Das KH erfüllt wichtige Aufgaben bei der Steuerung der Motorik: Es ist zuständig für Koordination, Feinabstimmung, unbewusste Planung und das Erlernen von Bewegungsabläufen. Zudem wird ihm neuerdings auch eine Rolle bei zahlreichen höheren kognitiven Prozessen zugeschrieben.

Das KH liegt in der hinteren Schädelgrube (HSG). Es ist dem Hirnstamm (Mittelhirn, Brücke und verlängertes Mark) rückenseitig (dorsal) aufgelagert und mit diesem über drei Kleinhirnstiele (Pedunculus cerebellaris inferior, medius und superior) auf jeder Seite verbunden, durch welche die Faserverbindungen verlaufen. Nach oben und unten spannen sich zum Hirnstamm dünne Strukturen aus weißer Substanz aus, das obere und untere Marksegel (Velum medullare superius und inferius).

Zwischen KH und Hirnstamm, also bauchseitig (ventral), begrenzt von Medulla oblongata (MO) und Pons, seitlich von den Kleinhirnstielen, dorsal von den Marksegeln und dem KH, liegt einer der mit Liquor gefüllten Hohlräume des Gehirns, der vierte Ventrikel, dessen Boden als Rautengrube (Fossa rhomboidea) bezeichnet wird.

Das KH wird nach oben vom Kleinhirn-Zelt (Tentorium cerebelli), einer Duplikatur der harten Hirnhaut (Dura mater), vom Großhirn getrennt, dessen Okzipitallappen direkt darüber liegt. Das KH liegt in der hinteren Schädelgrube (HSG), wo es mit den beiden als KH-Tonsillen bezeichneten Fortsätzen nach ventral bis kurz vor das Foramen magnum reicht.

Im Bereich zwischen dem KH und dem Unterrand des ventral davor liegenden Pons, also dem Kleinhirnbrückenwinkel (KHBW), treten nach schräg ventral die beiden Hirnnerven N. facialis und N. vestibulocochlearis aus.

Aufbau des KH

Beim KH bezeichnet man wie beim Großhirn die nach außen gewandte, nervenzellhaltige Schicht als Rinde (Cortex), die im Inneren liegende weiße Substanz (nur Faserverbindungen, keine Zellleiber) als Mark (Medulla). Im Mark zu findende Ansammlungen von Nervenzellen sind Kerne.

Makroskopisch gliedert sich das KH in drei Teile:

Der Wurm (Vermis) ist eine in der Mitte liegende, etwa ein bis zwei Zentimeter breite, sagittal einmal ganz herumlaufende Struktur,

die zwei Hemisphären wölben sich beiderseits des Wurms vor.

Zusätzlich findet sich vorne unten, an der dem Hirnstamm zugewandten Seite, vom Wurm ausgehend, zu jeder Seite ein armähnlicher Ausläufer, der wie mit zwei Tatzen endet. Das ist der Flocculus („Flöckchen“), der zusammen mit dem angrenzenden Wurmteil, dem Nodulus („Knötchen“), zum sowohl funktionell als auch entwicklungsgeschichtlich deutlich abgrenzbaren Lobus flocculo-nodularis zusammengefasst wird.

Deutlich sichtbar ist die KH-Rinde in regelmäßigem Abstand von fast parallel laufenden Furchen durchzogen. Sie dienen wie die Windungen (Gyri) des Großhirns der Oberflächenvergrößerung, verlaufen aber immer transversal (von links nach rechts) und verleihen dem Kleinhirn sein charakteristisches Aussehen. Im Querschnitt ähnelt diese aufgefaltete Anordnung einem Baum (Arbor vitae, Lebensbaum), entsprechend bezeichnet man einen zwischen zwei Furchen vorgewölbten Rindenabschnitt als Folium (lat. Blatt).

Sowohl den Wurm als auch die Hemisphären kann man, einmal herumlaufend, in zahlreiche Abschnitte unterteilen, die aber wenig funktionelle Aussage haben. Lediglich die transversale Einteilung in einen oberen Lobus anterior und einen größeren, unteren Lobus posterior wird häufiger verwendet.

Im Mark des KH unterscheidet man auf jeder Seite vier Kerne (Nuclei, Nucc), von innen nach außen:

Nucleus fastigii

Nucleus globosus (oft zweigeteilt)

Nucleus emboliformis

Nucleus dentatus

Die Nucc dentati sind sehr viel größer als die anderen Kerne und stammesgeschichtlich am jüngsten. Nuc globosus und emboliformis werden zusammen auch als Nuc interpositus bezeichnet.

Nervenzelltypen der KH-Rinde

Purkinjezellen (benannt nach Purkinje, s.d.). Sie exprimieren den GFP-Abkömmling EGFP unter Kontrolle des Purkinje-zellspezifischen Promotors L7 und fluoreszieren deswegen bei Anregung mit blauem Licht.

Moosfasern und deren Endigungen in der Körnerzellschicht des KH. Markierung der Moosfasern mit Clomeleon, einem fluoreszierenden Biosensor, exprimiert unter der Kontrolle des Thy1-Promotors

Schema der Verschaltung

Die KH-Rinde lässt sich in 3 Schichten einteilen, die jeweils eine charakteristische Auswahl der 5 versch. Zelltypen enthalten:

Molekularschicht, Stratum moleculare, ganz außen

  • Sternzellen (GABAerg, inhibitorisch)
  • Korbzellen (GABAerg, inhibitorisch)

Purkinjezellschicht, Stratum purkinjense

  • Purkinjezellen (GABAerg, inhibitorisch)

Körnerschicht, Stratum granulosum, nach innen

  • Körnerzellen (Glutamaterg, erregend)
  • Golgizellen (GABAerg, inhibitorisch).

Die kleinhirntypische Zelle ist die Purkinjezelle, die als einzige aus der KH-Rinde herausprojiziert. Sie hemmt die KH-Kerne, welche wiederum die zentrale Ausgangsstation des gesamten KH darstellen. Sie hat einen typischen birnenförmigen Zellleib mit einem basalen Axon und einem apikalen Primärdendriten, der sich baumartig verzweigt. Die Verzweigung dieses Dendritenbaumes ist streng in einer Ebene (tangential zur Längsachse der Folia) ausgerichtet, weshalb die Anordnung der Purkinjezellen häufig mit Spalierobst verglichen wird. Die Dendriten ziehen weit in die Molekularschicht bis kurz unter die KH-Oberfläche. Sie sind extrem stark bedornt (stärker noch als die Pyramidenzellen der Großhirnrinde) und gehen demnach eine Vielzahl synaptischer Verbindungen mit anderen Neuronen innerhalb und außerhalb des KH ein. Sie ist die einzige Calbindin-positive Zelle des KH.

Die andere typische Zelle der KH-Rinde ist die Körnerzelle, als einzige exzitatorische Zelle der KH-Rinde. Die kleinen, runden Zellkörper liegen dicht und in großer Zahl in der Körnerschicht. Das Axon verläuft nach oben in die Molekularschicht, spaltet sich dort T-förmig auf und verläuft als Parallelfaser längs der KH-Windungen und somit senkrecht durch die Dendritenbäume der Purkinjezellen. Die ungewöhnliche Form des Körnerzellaxons lässt sich durch ihre Wanderungsbewegung während der Entwicklung erklären (s.u.). Die basalen Dendriten der Körnerzellen bilden mit den basalen Axonen der Golgizellen kleine Geflechte in der Körnerschicht, die sog. Glomeruli cerebellares, an denen auch die extracerebellären Moosfasern (s. u.) endigen.

Die hemmenden (inhibitorischen) Interneurone der KH-Rinde sind von basal nach apikal:

Die Golgizelle liegt neben der Körnerzelle in der Körnerschicht. Ihre Axone ziehen zu den Glomerula cerebellaria, wo sie die Körnerzellen hemmen. Ihr bedornter Dendritenbaum ist, im Gegensatz zur Purkinjezelle, buschförmig und reicht ebenfalls bis in die Molekularschicht, wo Verbindungen mit den Parallelfasern eingegangen werden.

Die Korbzellen liegen tief in der Molekularschicht in der Nähe der Purkinjezellen, deren Zellleiber sie mit ihren Axonen umspinnen, um die Purkinjezelle am Initialsegment des Axons zu hemmen. Ihre Dendriten stehen in Verbindung mit Kollateralen der Purkinjezellen und mit den Parallelfasern. Jede Korbzelle hat ein immenses Territorium, sodass eine Korbzelle ungefähr 70 Purkinjezellen hemmen kann.

Die Sternzellen liegen apikal in der Molekularschicht und ziehen mit ihren Axonen zu den glatten (nicht bedornten) Dendritenabschnitten der Purkinjezellen.

Zusätzlich zu den Fortsätzen der Zellen des Kleinhirns befinden sich in der Kleinhirnrinde noch zwei verschiedene Fasertypen, die beide erregend sind:

Moosfasern entstammen dem RM und vielen Kernen des Hirnstamms. Sie endigen an den Glomerula cerebellaria, wo sie die Körnerzellen und somit indirekt die Purkinjezellen erregen. Ihren Namen erhalten die Moosfasern aus ihrer Verbindung mit den Glomerula cerebellaria, die das Stratum granulosum der KH-Rinde im mikroskopischen Bild wie einen vermoosten Rasen erscheinen lassen. Sie verwenden Glutamat als Transmitter.

Kletterfasern kommen aus dem unteren Olivenkomplex und „klettern“ an den Dendritenbäumen der Purkinjezellen hoch, wo sie mit den Dornen der Dendriten erregende synaptische Verbindungen eingehen. Einige Quellen sprechen hier von Asparaginsäure als Transmitter, andere von Glutamat.

Verschaltung

Von Scarecrow 4 – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=7031436 Schema der inneren Verschaltung: (+) exzitatorische Synapse
(−) inhibitorische Synapse
ZKK Zentrale Kleinhirnkerne
PjZ Purkinjezelle
GgZ Golgi-Zelle, KnZ Körnerzelle
KbZ Korbzelle, StZ Sternzelle
KF Kletterfaser, MF Moosfaser, PF Parallelfaser

Trotz der vielen versch. Zelltypen ist das Verschaltungsprinzip der KH-Rinde relativ einfach. Die Aufgabe des KH ist vor allem eine Feinabstimmung der Motorik, sprich eine Hemmung überschwänglicher „Grobmotorik“. Die Informationen über den Bewegungsplan werden der Kleinhirnrinde über die Kletterfasern und Moosfasern zugeleitet (die nebenbei Kollateralen an die KH-Kerne abgeben). Die „Ergebnisse“ der KH-Arbeit werden über die Projektionen der KH-Kerne aus dem KH herausgeleitet.

Der grobe Bewegungsplan wird durch die erregenden Kletter- und Moosfasern (hier indirekt über die Glomerula cerebellaria und die Körnerzellen) zur Purkinjezelle gebracht, deren Aufgabe nun die Hemmung überschwänglicher Motorik ist. Das Ergebnis ist eine absolute Hemmung, sprich keine Motorik. Aufgrund dessen wird nun die Purkinjezelle wiederum selektiv von den Golgizellen, Korbzellen und Sternzellen gehemmt, so dass nun eine feinmotorische Bewegung zu den KH-Kernen und damit aus dem KH herausgeschickt wird. Sprich, die Purkinjezelle wird von außerhalb erregt und hemmt die KH-Kerne, wobei sie selber auch selektiv gehemmt wird, damit überhaupt Bewegung stattfindet.

Neben den geschilderten klassischen Verschaltungen der Rinde finden sich auch mono-aminerge Afferenzen aus der Formatio reticularis, insbesondere mit dem Transmitter Serotonin aus den Raphe-Kernen und mit dem Transmitter Noradrenalin aus dem Locus caeruleus. Sie scheinen eher modulatorische Aufgaben zu besitzen.

Purkinjezellen

Gliazellen in der KH-Rinde

Neben den im gesamten ZNS verbreiteten Oligodendrozyten, Astrozyten und Mikroglia finden sich in der KH-Rinde zusätzlich drei spezielle Gliazelltypen:

Flügelastrozyten haben Flügel- oder Schaufel-förmige Fortsätze, mit denen sie die Glomerula cerebellaria umgeben.

Die Bergmann-Glia liegt zwischen den Purkinjezellen im Stratum purkinjense. In der Entwicklung des Kleinhirns dienen diese Zellen den auf- und abwandernden Neuronen als Leitstruktur. Im erwachsenen Kleinhirn bilden sie die Membrana gliae limitans superficialis.

Die gefiederten Glia von Fañanas, die im Stratum moleculare sowie Stratum purkinjense liegen und sich histologisch nur mit einer speziellen Gold-Färbung darstellen lassen. Man unterscheidet dabei nach der Zahl der Ausläufer 3 Typen: Fañanas-Zellen mit einem, mit zwei und mit mehreren Ausläufern.

Bahnen

Eingänge und Ausgänge (d.h. Informationszuflüsse und -abflüsse) des KH sind eng mit den jeweiligen Funktionen verwoben.

Afferenzen

Für die Bewegungskoordination und -durchführung nötige Informationen kommen aus RM und Hirnstamm:

Informationen über Beschleunigung und die Lage des Kopfes aus den Hirnstammkernen des Gleichgewichtsorgans (Tractus vestibulo-cerebellaris)

über das RM direkt Informationen über Lage und Stellung der Extremitäten von Muskelspindeln, Gelenkrezeptoren und Golgi-Sehnenorganen (KH-Seitenstrangbahn, Tractus spino-cerebellaris anterior und posterior, d.h. Gowers & Flechsig, s.d.)

aus der Olive (Tractus olivo-cerebellaris) Informationen über die gerade im Augenblick zur Muskulatur laufenden Impulse des Motorkortex und anderer Areale, über vom KH selbst ausgesandte Impulse (Rückkopplungsschleife über den Nucleus ruber, der zur Olive projiziert) und über verschiedene Informationen aus dem Hirnstamm.

Für die Planung von Bewegungen und – falls die Hypothesen zutreffen – auch die Durchführung zahlreicher weiterer kognitiver Prozesse erhält das KH zuführende Fasern aus dem Cortex (Tractus cortico-ponto-cerebellaris). Diese Afferenzen stammen vor allem aus dem Frontal- und dem Temporallappen, z. Tl. auch aus Parietal- und Okzipitallappen. Sie verlaufen durch den Pons, den sie mit ihren Fasermassen im Wesentlichen bilden, kreuzen dort auf die Gegenseite, werden in den verstreuten pontinen Kernen umgeschaltet und verlaufen durch den breiten mittleren KH-Stiel zu ihrem Ziel.

Die pontinen Afferenzen bilden in ihrer Gesamtheit den Pedunculus cerebellaris medius. Als einzige afferente Bahn verläuft der Tractus spino-cerebellaris anterior im Pedunculus cerebellaris superior, alle anderen genannten Afferenzen verlaufen im unteren Kleinhirnstiel.

Im Tractus vestibulo-cerebellaris laufen nicht nur sekundäre Fasern, die in den Vestibulariskernen umgeschaltet wurden, sondern auch direkte Fasern aus dem Gleichgewichtsorgan. Neben dem Lobus flocculo-nodularis enden Teile der Bahn auch im Nuc. fastigii und der Uvula („Zünglein“), einem Teil des Wurms.

Die Tractus spino-cerebellaris anterior und posterior leiten im Wesentlichen nur Informationen aus der unteren Extremität. Für die obere Extremität gibt es zwei analoge Bahnen. Anteile der Hinterstrangbahn, die in einem Teil des Nuc. cuneatus im Hirnstamm verschaltet werden, dem Nuc cuneatus accessorius, laufen als Tractus cuneo-cerebellaris zum KH und entsprechen der posterioren KH-Seitenstrangbahn.

Analog zur anterioren Bahn gibt es ab dem Halsmark (Zervikalmark) noch einen Tractus spino-cerebellaris superior. Die posteriore Bahn leitet eher die hochaufgelöste Propriozeption, die Information aus der anterioren Bahn kommt eher von größeren rezeptiven Feldern.

Propriozeption aus dem Gesichtsbereich verläuft aus den Trigeminuskernen im Hirnstamm als Tractus trigemino-cerebellaris zum KH.

Efferenzen

Alle Efferenzen gehen von den KH-Kernen aus (mit Ausnahmen einiger direkter Bahnen vom Lobus flocculo-nodularis zu den Vestibulariskernen). Das KH sendet zu 4 Hirnregionen Fasern aus:

Thalamus
Nucleus ruber
Formatio reticularis
Vestibulariskerne (die Hirnstammzentren des Gleichgewichtsorgans).

Alle 4 Bahnen haben Bedeutung für die Steuerung der Motorik: Die drei letztgenannten Hirngebiete senden eigene Bahnen zum RM. Zudem läuft über den Nuc ruber die oben erwähnte Rückkopplungsschleife zur Olive und zurück zum KH.

NB: Alle zum Cortex des Großhirns laufenden Bahnen werden im Thalamus umgeschaltet, auch die des KH. Der Thalamus dient hier als Integrationszentrum für Impulse auch aus anderen motorischen Zentren (Basalganglien, Cortex selbst) und leitet die integrierten Impulse zu motorischen Cortexarealen, vor allem zum primär-motorischen Cortex weiter. Es konnte aber gezeigt werden, dass die KH-Efferenzen nicht auf motorische Cortexareale beschränkt sind.

Die Bahn zu den Vestibulariskernen, die erregende Fasern aus den Nucc. fastigii und – als einzige Ausnahme – auch hemmende Fasern direkt aus der Rinde des Lobus flocculo-nodularis sendet, verläuft im unteren KH-Stiel. Alle anderen Efferenzen verlaufen im oberen KH-Stiel, kreuzen dann (Decussatio pedunculorum cerebellarium superiorum, Wernicke) und spalten sich in einen auf- und einen absteigenden Teil auf.

Der kleinere, absteigende Teil läuft zur Formatio reticularis des Hirnstamms. Die Fasern stammen aus den Nucc. fastigii und globosi. Im aufsteigenden Teil verlaufen die oben geschilderten Bahnen zum Thalamus, Tractus cerebello-thalamicus, und die Projektionen zum Nuc. ruber, Tractus cerebello-rubralis.

Die aus den Nucc. globosus und emboliformis stammenden Anteile der cerebello-rubralen Bahn enden in einem Teil des Nuc. ruber (Pars magno-cellularis), der selbst direkt und indirekt über die Formatio reticularis absteigende Bahnen ins RM entsendet. Die Anteile des Tractus cerebello-rubralis aus dem Nuc. dentatus enden in dem Bereich (Pars parvo-cellularis), der über die zentrale Haubenbahn mit dem Olivenkern verbunden ist und so die oben erwähnte Rückkopplungsschleife bildet. Auch der Tractus cerebello-thalamicus entsteht aus Fasern aus diesen drei Kernen, Nucc. globosus, emboliformis und dentatus.

Gliederung

Vereinfachte Gliederung des KH mit seinen Afferenzen und Efferenzen

Nach verschiedenen Kriterien lässt sich das KH in jeweils drei bis vier Abschnitte einteilen. Am naheliegendsten ist die Einteilung nach anatomischen Abschnitten. Die funktionell bedeutendste und gebräuchlichste Unterscheidung ist aber die nach den Afferenzen, bei der das KH nach der Herkunft der zuführenden Bahnen in drei Bereiche eingeteilt wird:

Das Vestibulocerebellum (anatomisch der Lobus flocculo-nodularis) ist mit den Vestibulariskernen, den Hirnstammzentren des Gleichgewichtsorgans, verbunden;

das Spinocerebellum (anatomisch der Wurm und angrenzende Bereiche) empfängt u. a. Informationen über Körperstellung aus dem RM;

das Pontocerebellum (anatomisch den seitlichen Hemisphären entsprechend) empfängt die Fasern, die über die Brücke (Pons) aus dem Großhirn kommen.

Häufig synonym gebraucht ist die Einteilung nach der Phylogenese, die sich nach der stammesgeschichtlichen Entwicklung des KH richtet:

Das Archicerebellum (entspricht dem Vestibulocerebellum) ist der evolutionsgeschichtlich älteste, bei allen Wirbeltieren vorhandene Teil des KH,

das Paläocerebellum (entspricht dem Spinocerebellum), stellt den mit der Entwicklung von Gliedmaßen verbundenen nächsten evolutionären Schritt dar, während

das Neocerebellum (Pontocerebellum) den Anforderungen an komplexe Bewegungsabläufe geschuldet ist und nur bei höheren Säugern vorhanden bzw. in Ausmaß und Umfang der Faserverbindungen bei Primaten und dann beim Menschen einzigartig ist.

Ein weiteres mögliches Kriterium unterteilt das KH nach den KH-Kernen, in die die jeweiligen Abschnitte projizieren. Dadurch wird das Spinocerebellum in zwei funktionell unterschiedliche Gebiete unterteilt.

NB: Auch wenn die o.g. Einteilungen nach den versch. Kriterien synonym gebraucht werden, so sind doch die beschriebenen Gebiete fast nie völlig deckungsgleich. Ausnahme ist das Vestibulocerebellum (Archicerebellum – Lobus flocculo-nodularis) wo die Übereinstimmung weitgehend vorhanden ist. In den anderen Gebieten kann man oft nur eine Überschneidung in der Größenordnung von etwa 80 % feststellen.

Blutversorgung

Die Blutversorgung des KH erfolgt über drei paarig angelegte Arterien, diese sind von dorsal nach frontal die Arteria cerebelli posterior inferior (PICA), die Arteria cerebelli anterior inferior (AICA) sowie die Arteria cerebelli superior (SCA). Die PICA entspringt dabei als einzige der drei aus der Arteria vertebralis, sie ist nebenbei deren größter Abgang. Die AICA und die SCA sind dagegen Abgänge der Arteria basilaris. Diese etwa 3 bis 3,5 cm lange Arterie entsteht auf dem sog. Clivus der Schädelbasis aus dem Zusammenschluss der rechten und linken Arteria vertebralis, etwa im Übergangsbereich zwischen Medulla oblongata und Pons.

Jede Arterie versorgt dabei zunächst einen bestimmten Teil des KH: So kommt die SCA auf der superioren Oberfläche an, die PICA posterior-inferior und frontal von dieser, also anterior-inferior, die AICA. (NB: Alle Lagebezeichnungen beziehen sich auf das KH selbst, der kaudale Teil wird also von zwei Arterien angesteuert, der kraniale von einer. Die Äste der 3 Arterien anastomosieren* schließlich in der Pia mater und stellen so die Blutversorgung des KH sicher.

Funktion

Gut untersucht ist die Rolle des KH für Planung, Koordination und Feinabstimmung von Bewegungen, wobei die unterschiedlichen Abschnitte auch versch. Funktionen übernehmen. Auch bei Lernvorgängen wird dem KH eine wichtige Rolle zugeschrieben. Zudem wird seit einiger Zeit die Rolle des KH bei kognitiven Prozessen diskutiert.

Motorik

Vestibulocerebellum

Dieser Kleinhirnteil erhält aus dem Gleichgewichtsorgan Informationen über Körperlage und -bewegung. Diese nutzt er zum einen zur Steuerung der Halte- und Stützmotorik. Zum anderen ist er verantwortlich für die Feinabstimmung fast aller Augenbewegungen, die von den verschiedenen okulomotorischen Zentren im Hirnstamm generiert werden.

Spinocerebellum

Das Spinocerebellum empfängt die Afferenzen aus dem RM, die Informationen über die Stellung von Gelenken und Muskeln geben. Außerdem erhält es kontinuierliche Rückmeldung über die zum RM und damit in die Peripherie gesendeten Bewegungssignale. Es gliedert sich nach den Efferenzen in zwei funktionell unterschiedliche Zonen. Der Vermis selbst, der in den Nucleus fastigii projiziert, ist vor allem für Stand-, Gang- und Stützmotorik verantwortlich. Die angrenzenden Hemisphärenanteile (intermediäre Zone, Projektion in Nucleus globosus und Nucleus emboliformis) sind entscheidend beteiligt an der Zielmotorik und der Bewegungsdurchführung. Diese Anteile sorgen dafür, dass eine Bewegung wie geplant abläuft, ihr Ziel exakt trifft, und sie sorgen für einen Abgleich von Efferenzen und Afferenzen, also dafür, dass die gesendeten Kommandos der tatsächlichen augenblicklichen Lage der Extremitäten entsprechen und ständig fein an die neue Lage angepasst werden. Hierunter fällt auch die für das Sprechen notwendige außerordentlich feine Abstimmung der beteiligten mimischen und Kehlkopfmuskulatur.

Pontocerebellum

Das Pontocerebellum (auch Cerebro-cerebellum) ist funktionell mit dem Großhirnkortex verbunden. Es empfängt Signale aus vielen Bereichen, vor allem den prämotorischen Zentren im Frontallappen (prämotorischer Cortex und supplementärmotorischer Cortex). Dort entstehen Bewegungsentwürfe, die Planung einer Bewegung. Diese eher groben Entwürfe werden zu den lateralen KH-Hemisphären gesendet, wo sie weiter entwickelt, fein abgestimmt, moduliert, korrigiert, mit aus Vorerfahrungen gewonnenen internen Modellen abgeglichen werden und die geplante Aktivität der beteiligten Muskeln koordiniert wird. Hierbei hilft auch der Rückkopplungskreis über den Nucleus ruber und die Olive zurück zum KH. Die Ergebnisse dieser Berechnungen gehen zum Thalamus, wo sie (mit den Ergebnissen des anderen großen subkortikalen motorischen Zentrums, der Basalganglien) integriert und zum motorischen Cortex weitergeleitet werden.

Lernvorgänge

Das KH spielt eine Schlüsselrolle beim impliziten Lernen und damit für das prozedurale Gedächtnis. Das bedeutet, dass gut trainierte, automatisierte Bewegungsabläufe ohne Nachdenken abrufbar sind, da ihre Wiederholung zu anhaltenden Veränderungen synaptischer Effizienzmuster im KH geführt hat. Beispiele dafür sind die Koordination der Gesichtsmuskulatur beim Sprechen und die Bewegung der Finger beim Schreiben oder Spielen von Musikinstrumenten, aber auch die Koordination des gesamten Körpers wie beim Skifahren oder Tanzen.

Das KH ist darüber hinaus ein Ort assoziativen Lernens. Ein gut untersuchtes Beispiel hierfür ist die Konditionierung des Lidschlussreflexes, welcher z. B. beim Einsetzen von Kontaktlinsen eine Rolle spielt.

Kognitive Prozesse

Seit den 1980er Jahren wird vermehrt diskutiert, ob das KH auch an kognitiven Prozessen beteiligt ist. Es werden unter anderem folgende Argumente aufgeführt:

Die Hemisphären des KH sind beim Menschen so ausgeprägt wie bei keiner anderen Spezies. Evolutionsgeschichtlich geht das Wachstum des Großhirns, in dem die außerordentlichen kognitiven Fähigkeiten des Menschen angesiedelt werden, direkt einher mit dem Wachstum der Hemisphären und des Nucleus dentatus.

Das KH empfängt über die pontinen Fasern eine gewaltige Menge an Informationen. Diese Stränge umfassen 200 Millionen Nervenfasern, während der Nervus opticus zum Beispiel, der die Informationen aus der Netzhaut des Auges bringt und damit gute Teile des Großhirns beschäftigt, nur etwa 1 Million Nervenfasern umfasst.

Man konnte zeigen, dass die Efferenzen des KH nicht nur zu motorischen Cortex Arealen gelangen, sondern auch zu vielen anderen Bereichen des Cortex.

Es gibt KH-Läsionen im Bereich des Lobus posterior, die zu keinerlei klinischen Auffälligkeiten bei der Bewegungskoordination führen.

Funktionelle Untersuchungen mit modernen bildgebenden Verfahren konnten eine Aktivierung des KH bei kognitiven Aufgaben zeigen.

Nach einer anderen Hypothese ist nur der Lobus anterior wirklich für Bewegungskoordination zuständig, während dem unteren Vermis Einfluss auf Affekt und Verhalten zugeschrieben werden.

Die linke Hemisphäre (verbunden mit der rechten Großhirnhemisphäre) spielt eine Rolle im visuell-räumlichen Denken, die rechte Hemisphäre (verbunden mit der linken, sprachdominanten Hemisphäre) ist wichtig für Sprachfunktionen. Dazu passt, dass Dyslexie häufig mit einer Beeinträchtigung der Aktivität in der rechten KH-Hemisphäre korreliert. Im Gegensatz zum Sprechen, was die Koordination der Sprechmuskulatur verlangt, handelt es sich hier um höhere Funktionen zur Sprachbildung, wie z.B. Wortfindung. Beiden Hemisphären wird zudem allgemein eine Rolle bei den exekutiven Funktionen zugeschrieben.

Dennoch ist noch nicht klar, wie wichtig der Einfluss des KH tatsächlich ist. Bei Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren ist es nicht möglich, KH-Tätigkeit zur Bewegungskoordination völlig auszuschließen. Gerade beim Sprechen wird das KH tätig, so dass Aussagen über Sprachfunktionen schwierig sind. Auch gab es widersprüchliche Experimente. Bei Patienten mit KH-Läsionen lassen sich zwar kognitive Veränderungen nachweisen. Diese sind aber nie wirklich schwerwiegend und es bleibt die Frage, ob nicht doch die motorischen Defizite der eigentliche Grund sind. Bei wirklich schwerwiegenden KH-Läsionen ist eine kognitive Prüfung aufgrund der schweren motorischen Defizite wiederum fast nicht möglich.

Entwicklung des KH Das KH entsteht aus dem Metencephalon, dem vierten Hirnbläschen. Zwischen Metencephalon und Myelencephalon liegt die durch die Absenkung der Brückenbeuge in der sechsten Woche ausgedehnte Rautengrube. Die Anlage des KH entwickelt sich zu diesem Zeitpunkt im rostralen, dem Mesencephalon zugewandten Teil des Dachs der Rautengrube. Die ganz dorsolateralen Bereiche der Flügelplatte krümmen sich nach medial und bilden die Rautenlippen. Kaudal werden diese Rautenlippen beider Seiten von der Deckplatte, des sehr dünnen Dachs der Rautengrube, getrennt, nach kranial laufen sie aber aufeinander zu und vereinigen sich direkt unterhalb des Mesencephalon. Durch weitere Wachstumsbewegungen, Absenkung der Brückenbeuge, Wachstum und Vorwölben der Rautenlippen nach dorsal verändert sich ihre Form zu einer transversal gestellten Platte, der KH-Platte.

In seitlicher Richtung lassen sich nach 12  Wochen medial der Vermis und lateral die Hemisphären unterscheiden. In Längsrichtung werden als Erstes der Nodulus und der Flocculus durch einen Spalt von Vermis und Hemisphären abgetrennt. Im Verlaufe des weiteren Wachstums treten nach und nach die restlichen charakteristischen Querfurchen auf.

Entwicklung der Rinde

Im frühen Stadium besteht die KH-Anlage wie alle anderen Abschnitte des Neuralrohrs aus einem innen liegenden Neuralepithel mit teilungsaktiven Zellen, einer Mantelschicht mit aus dem Neuralepithel hervorgegangenen und nach außen gewanderten Proneuronen und einer Marginalzone, die hauptsächlich Zellfortsätze enthält.

In der Embryonalzeit wandert ein erster Schub von Zellen aus. In der Mantelschicht entstehen aus einem Teil dieser Zellen die KH-Kerne. Der andere Teil erreicht die Marginalzone und bildet dort die äußere Körnerschicht. Diese Schicht ist typisch für die Entwicklung des KH. Ihre Zellen bleiben im Gegensatz zur Entwicklung der übrigen Gehirnabschnitte noch bis nach der Geburt teilungsfähig, tatsächlich entstehen hier noch bis zum Ende des zweiten Lebensjahres neue Nervenzellen.

Im vierten Monat treten zwei wichtige Entwicklungsschritte auf. Ein zweiter Schub an Zellen wandert aus und erreicht die äußere Körnerschicht, bleibt aber auf ihrer Innenseite. Es handelt sich um die Vorläufer der Purkinje-Zellen. Außerdem beginnt nun die Differenzierung der äußeren Körnerschicht. Aus dieser zellreichen Schicht entsteht nach der Geburt die zellarme Molekularschicht, die äußerste Schicht der KH-Rinde, mit ihren Korb- und Sternzellen. Aber es entstehen aus den Zellen der äußeren Körnerschicht auch die Körnerzellen, die Zellen der inneren Körnerschicht.

Die Zellwanderung im ZNS erfolgt normalerweise von innen nach außen, wobei die Körnerzelle des KH hier eine wichtige Ausnahme bildet. Sie wandert tangential unterhalb der Oberfläche des KH aus der Rautenlippe ein und bildet auf jeder Seite einen Fortsatz aus, der parallel zum Folium und somit senkrecht zum späteren Dendritenbaum der Purkinjezellen ausgerichtet ist. Nun geht sie in Verbindung mit dem Fortsatz der sog. Bergmann-Gliazelle, an der die anderen Zellen von innen nach außen auswandern, und klettert unter die Purkinjezellschicht, wobei sich die beiden Fortsätze der Körnerzelle zu einem vereinigen, der nun eine T-Form bekommt. Aufgrund dieser speziellen Histogenese lässt sich die ungewöhnliche Form des Körnerzellaxons erklären, der Parallelfaser (von der Körnerzelle hoch und dann T-förmig parallel zum Folium). In vielen Büchern findet man die Angabe, das Axon würde aus der Körnerzellschicht nach oben auswachsen, diese Aussage ist jedoch falsch: Axone wachsen nicht aus, sondern entstehen durch eine Wanderung der jeweiligen Neurone.

Klinische Bedeutung

Bei einer Schädigung des KH können je nach Lage und Ausdehnung des betroffenen Areals eine Reihe von charakteristischen Symptomen auftreten. Oberbegriff für die meisten KH-Symptome ist die Ataxie.

Im Einzelnen können vorliegen:

bei Läsionen des Vestibulocerebellums

durch Störung der Koordination der Augenbewegung ein Nystagmus

durch mangelnde Stützmotorik eine Rumpfataxie, die Unfähigkeit, die für das Stehen und Sitzen nötigen unbewussten Korrekturbewegungen der Rumpfmuskulatur ausreichend durchzuführen;

bei Läsion der medianen (vermalen) Zone des Spinocerebellums eine Stand- und Gangataxie, ein unsicherer, wankender Stand und Gang wie beim Betrunkenen.

Bei Läsion der intermediären oder paravermalen Zone des Spinocerebellums steht die mangelnde Kontrolle und Koordination der Bewegungsdurchführung im Vordergrund, was sich durch eine Reihe von Symptomen äußert:

Störungen der Zielmotorik: bei Hypermetrie über das Ziel hinausschießende bzw. bei Dysmetrie am Ziel vorbei treffende Bewegungen, z. B. beim Versuch, mit dem Finger die Nase zu treffen.

Eng damit verbunden ist das Auftreten eines Intentionstremors, also eines Zitterns, das umso stärker wird, je näher die Hand dem Ziel kommt. Es wird durch nicht koordinierte und somit überschießende Korrekturbewegungen verursacht.

Die Unfähigkeit, schnell nacheinander und abwechselnd antagonistische Bewegungen durchzuführen, bezeichnet man als Dysdiadochokinese. Das klassische Beispiel ist der Versuch, die Handfläche schnell auswärts und einwärts zu drehen.

Schließlich verursacht die fehlende Feinabstimmung der komplexen, zum Sprechen nötigen Motorik ein als Dysarthrie bezeichnetes Krankheitsbild, das sich durch eine undeutliche, verwaschene, manchmal unverständliche Sprache auszeichnet. Hier ist aber nur die Sprechmotorik gestört, nicht die höheren sprachverstehenden und -formenden Zentren des Gehirns. Charcot beschreibt die typische cerebelläre Sprache als „skandierend“.

Die Läsion des Pontocerebellums betrifft die Bewegungsplanung.

Es kann zu einer Asynergie kommen, bei der der Einsatz der einzelnen Muskeln nicht aufeinander abgestimmt und somit nicht synergistisch ist. Als Kompensation dieses Defizits kann es zur Dekomposition eines Bewegungsablaufs in Einzelbewegungen kommen, so dass z.B. erst das Schultergelenk in die richtige Lage gebracht, dann der Arm gestreckt und erst dann die Hand bewegt wird, statt das parallel in einem fließenden Ablauf durchzuführen.

Die Rhombencephalosynapsis ist eine seltene Fehlbildung, bei der die beiden KH-Hemisphären verschmolzen sind und der Wurm unterentwickelt ist.

Quellen, Literatur & Veröffentlichungen

Ilka Lehnen-Beyel: Kleinhirn ganz groß. Cerebellum hat mehr mit höheren Gehirnfunktionen zu tun als gedacht, ddp/www.wissenschaft.de, 4. Oktober 2005 (Exzerpt aus: Limperopoulos C et al: Impaired trophic interactions between the cerebellum and the cerebrum among preterm infants, Pediatrics, Bd. 116, Nr. 4

Kleinhirn auch für Kognition wichtig, Medical Tribune Nr. 22/2009

Suzana Herculano-Houzel: The Human Brain in Numbers: A Linearly Scaled-up Primate Brain. In: Front Hum Neurosci. Band 3, Nr. 31, November 2009, doi:10.3389/neuro.09.031.2009, PMC 2776484 (freier Volltext).

Erhard Wischmeyer: Sensomotorik. In: Michael Gekle u. a. (Hrsg.): Taschenlehrbuch Physiologie (Thieme Verlag, Stuttgart 2010)

Michael Schünke u. a.: Prometheus Lernatlas der Anatomie. Kopf und Neuroanatomie (Thieme Verlag, Stuttgart 2006)

Ulrich Welsch: Sobotta Lehrbuch Histologie. 2. Auflage (Urban & Fischer Verlag/Elsevier GmbH, München 2005)

Karl Uwe Petersen: Zur Feinstruktur der Neurogliazellen in der Kleinhirnrinde von Säugetieren. In: Zeitschrift für Zellforschung und Mikroskopische Anatomie (Dezember 1969)

Lakomy M: Glioarchitectonics of the cerebellar cortex and medulla of cows during postnatal development. In: Pol Arch Weter, 1980

Thompson, R.F., Steinmetz, J.E.: The role of the cerebellum in classical conditioning of discrete behavioral responses. In: Neuroscience, 2009, 162. Jg., Nr. 3

Exkurs: „Wie arbeitet das Gehirn?“

das ist eine der am häufigsten gestellten Fragen. Im Großen und Ganzen besteht das menschliche Gehirn aus etwa 100 bis 150 Mrd. Zellen, von denen der weit überwiegende Teil in zwei große Gruppen unterteilt werden kann: Neurone und Gliazellen. Beide Zelltypen tragen jeweils etwa die Hälfte zur Gesamtzellzahl bei.

Da haben wir schon das erste „banale“ Problem: Es ist ein Unterschied, ob es nun 100 oder sogar 150 Milliarden „Zellen“ sein sollen. Da muss man noch nicht einmal „Genderprobleme“ (m/w/d … mit ins Feld führen… Als nächstes stellt sich die Frage, sind es nun Neuronen oder gehören zu dieser Zahl auch die Gliazellen? jols

Bildgebende Verfahren, wie die funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRI) oder die Diffusions-Tensor-Bildgebung (DTI), ermöglichen die Analyse funktioneller Details des Gehirns und tragen wesentlich dazu bei, neue Einblicke in die Informationsverarbeitung unseres Gehirns zu gewinnen.

Weder fMRI noch DTI basieren auf der elektrischen Aktivität der Neurone, denen zuvor immer die alleinige Funktion der Informationsverarbeitung im Gehirn zugeschrieben wurde. Stattdessen visualisieren diese Techniken die Gehirnaktivität, basierend auf Veränderungen der zerebralen Durchblutung (z.B. durch Veränderungen des Sauerstoffgehalts in den Blutkapillaren oder durch anisotrope Wasserdiffusion). 

Die zellulären Korrelate der kleinsten fMRI- und DTI -Signale wurden als neurovaskuläre- bzw. als Myelin-Axon-Einheiten identifiziert. Ein einzelnes fMRI-Signal bezieht den Sauerstoff-Verbrauch von Zellen vaskulären, glialen und neuronalen Ursprungs mit ein: Endothelzellen, Neutrophile, Perizyten, Astrozyten, Mikroglia, NG2-Glia und Oligodendrozyten sowie exzitatorische und inhibitorische Nervenzellen.

Das DTI -Signal, das durch die Myelin-Axon-Einheit generiert wird, ist hingegen viel einfacher zu verstehen: Die neuronalen Fasern, die Axone, sind umgeben von den elektrisch isolierenden und metabolisch unterstützenden Myelinscheiden der Oligodendrozyten.

Beide bildgebenden Verfahren nutzen somit die Funktion der Gliazellen aus, die Neurone mit Energie zu versorgen und Verbindungen über weite Strecken hinweg aufrechterhalten. Hierdurch wird die herausragende Rolle der Neuroglia bei der neuronalen Informationsweiterleitung und -verarbeitung verdeutlicht.

Die zweidimensionale Darstellung histologischer oder vitaler Hirnschnitte verdeutlicht die Organisation von Zellen in funktionelle und morphologische Netzwerke. Dazu gehört der säulenartige Aufbau des Kortex, verantwortlich für die sensorische Integration und Wahrnehmung; die Schichten des Hippokampus, beteiligt an Lern- und Erinnerungsprozessen; die rhythmischen Zentren des Hirnstammes, die die Atmung kontrollieren, oder die zerebellären Windungen, die die Feinmotorik steuern. Exzitatorische und inhibitorische Neurone sind die zentralen Verschaltungsstationen für Eingang, Prozessierung und Ausgang elektrischer Signale, wohingegen Gliazellen (Makroglia) komplett andere Aufgaben erfüllen.

Astrozyten sind stark polarisierte Zellen, die eine Brücke zwischen den Blutgefäßen und den Nervenzellen darstellen. Sie sind in der Lage, Nährstoffe aus dem Blut aufzunehmen, sie zu metabolisieren und anschließend an die Neurone weiterzugeben. Astrozyten kontrollieren zudem die extrazelluläre Ionen- und Transmitter-homöostase, insbesondere mit ihren dünnen, perisynaptischen Fortsätzen, die direkten Kontakt zu Prä- und Postsynapsen der Neurone haben. Dort modulieren sie die synaptische Übertragung durch Freisetzung von Transmittern und Peptidhormonen. Oligodendrozyten umhüllen die Axone der Nervenzellen mit einer lipidreichen Struktur, den sogenannten Myelinscheiden, die die Axone elektrisch isolieren und dadurch die Geschwindigkeit der elektrischen Weiterleitung von Aktionspotenzialen erhöhen.

Neuere Daten zeigen zudem die metabolische Versorgung der Axone durch Oligodendrozyten, was eine Langstreckenvernetzung von neuralem Gewebe ermöglicht. Gliazellen schließlich, die das Proteoglykan NG2 (NG2-Glia) exprimieren, sind eine relativ neue Klasse der Makroglia. Sie wurden ursprünglich als oligodendrogliale Vorläuferzellen identifiziert. Im adulten Gehirn kommt ihnen aber darüber hinaus ein weitaus vielfältigeres Aufgabenrepertoire zu. Der Stand der heutigen Wissenschaft liefert überzeugende Beweise, dass das bisherige Neuron-zentrierte Bild eines Gehirns viel zu einfach ist und dass die unterschiedlichen Subtypen der Gliazellen in ihrer Ausprägung und Funktion weitaus vielfältiger sind als bislang angenommen. Gliazellen scheinen unterschiedliche physiologische Eigenschaften aufzuweisen, und dies abhängig von der jeweiligen Gehirnregion, in versch. Entwicklungsstadien und bei unterschiedlichen Aktivitätsgraden des Organismus.

Gottlob Heinrich Bergmann

(* 12. Juni 1781 in Erichshagen bei Nienburg an der Weser; † 29. Oktober 1861 in Hildesheim)

war ein deutscher Arzt, Psychiater und Anatom des 18./19.JH.

(Ich habe heute leider kein Bild von ihm…)

Gottlob Heinrich Bergmann

Biographisches

Bergmann studierte an der Georg-August-Universität Göttingen. Nachdem er in Frankreich bei François Broussais (1772-1838) und René Laënnec (1781-1826, dem Erfinder des Stethoskops…) eine Ausbildung in pathologischer Anatomie absolviert hatte, wurde er 1804 Armenarzt in Celle. Im selben Jahr promovierte er in Göttingen mit der Dissertation „Über die Anfangsgründe einer vergleichenden Anatomie“. 1810 wurde er Arzt des Zucht- und Tollhauses von Celle. Nach Reisen durch Deutschland, Frankreich und Italien errichtete er 1827 in einem ehemaligen Kloster (St. Michaelisklosters) in Hildesheim eine Heilanstalt, 1833 im benachbarten St. Magdalenenkloster zusätzlich eine Pflegeanstalt. 1848 kam ein Neubau im Stift Bartholomäi zur Sülte als Pflegeanstalt hinzu. 1855 trat er in den Ruhestand.

Ehrungen & Auszeichnungen

Bergmann wurde 1837 zum korrespondierenden Mitglied der Göttinger Akademie der Wissenschaften und 1844 zum Mitglied der Gelehrtenakademie Leopoldina gewählt. 1854 verlieh ihm Hildesheim die Ehrenbürgerschaft.

Wissenschaftliches Werk

Bekannt wurde Bergmann aber vor allem durch seine eigentümlichen anatomischen Vorstellungen. Von der alten Ansicht ausgehend, dass im Dunste der Hirnhöhlen das Pneuma sitze, beschrieb er gewisse zarte Markfasern in den Hirnventrikeln, die sog. Chorden, welche er als Emanationen des Pneumas auffasste. Diesem Chordensystem wies er bestimmte Fähigkeiten zu, mit denen sie auf den Geist zurückwirken und das Seelenleben bedingen sollten. Seine mystische Theorie wurde jedoch von seinen Zeitgenossen nicht anerkannt (und von den heutigen auch nicht…).

Wobei der Autor dieser Zeilen ebenso heftig wie ich von jenem alten Literaten abschrieb:

Bergmann: Gottlob Heinrich B., Obermedicinalrath in Hildesheim, früher Arzt der Irrenanstalt in Celle, dann Director an jener zu Hildesheim, † 29. Oct. 1861. Er ist besonders bekannt durch seine eigenthümliche anatomische Richtung, welche er in mehreren Schriften („Neue Untersuchungen über die innere Organisation des Gehirns“, 1831; „Untersuchungen über die Structur der Mark- und Rindensubstanz des großen und kleinen Gehirns“, in Müller’s Archiv, 1841) niederlegte. Von der alten Ansicht ausgehend, daß im Dunste der Hirnhöhlen das Pneuma sitze, beschrieb er nämlich gewisse zarte Markfasern in den Gehirnventrikeln als Chorden, welche er als Emanationen des Pneumas auffaßte. Diesen Chordensystemen wies er bestimmte Vermögen zu, womit sie zwingend auf den Geist zurückwirken und die Gesetze des Seelenlebens bedingen sollten. Er starb, nachdem er seit einigen Jahren privatisirt hatte, seine mystische Theorie bis zum Tode aufrecht haltend, in tiefer Verstimmung über ihre Nichtanerkennung bei seinen Zeitgenossen.

1846 beschrieb Bergmann als erster Psychiater auch die Autoenukleation (d.h. ein psychiatrisch Kranker reißt sich selbst die Augäpfel raus…)

Quellen, Literatur & Veröffentlichungen

Über die Anfangsgründe einer vergleichenden Anatomie (Dissertation, 1804)

Neue Untersuchungen über die innere Organisation des Gehirns (1831)

Untersuchungen über die Structur der Mark- und Rindensubstanz des großen und kleinen Gehirns (Müllers Archiv, 1841)