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Gamper. Menschliche Wesen ohne Hirn

Warum Gamper, der österreichische Psychiater und Hirnforscher, der sich offensichtlich seine Menschlichkeit in schweren Zeiten bewahren konnte, obwohl er sich mit diesen bedauernswerten vermutlich seinerzeit als lebensunwert bezeichneten Menschen (oder doch Wesen…) beschäftigte und hierbei Neuland betrat und wissenschaftliche Filme anfertigte, im Netz quasi vergessen ist, liegt alleine an uns.

Offensichtlich kennt ihn niemand mehr. Da heisst es heute so reißerisch: Das Netz vergisst niemals … 

Gamper muss ein feiner Mensch und Arzt gewesen sein – das Schicksal hat ihn trotzdem früh weggerafft – wahrscheinlich blieb ihm aber dadurch Vieles erspart…

49 Gampers Mittelhirnkind

Illustration eines Neugeborenen mit Anenzephalie; Quelle:

Nach Gamper sollte eigentlich auch eine Nervenbahn im Gehirn benannt sei. So hatte ich es gelesen – aber nicht mehr gefunden. Im Verlauf stieß ich auf sein Mittelhirnwesen – Urplötzlich stahl sich das Grauen aller Horrorfilme zurück aus dem Hirn ins wahre Leben.

Ich verachte diese amerikanischen Lebensweisheiten wie „Alles wird gut“ und „Das Leben ist schön“ – Nicht ist gut und nix ist schön – das zeigt diese Kapitel in Seziermesserschärfe!

Exkurs Anenzephalie

Als Anenzephalie (Anenkephalie, griech. ἐγκέφαλος enkephalos, „Gehirn“ → „ohne Gehirn“) wird die schwerste Fehlbildungsform eines Neuralrohrdefekts (NRD) bezeichnet. Sie entsteht bis zur 4. Woche der Schwangerschaft. Bei Kindern mit einem Anenzephalus hat sich die Schädeldecke nicht geschlossen, und es fehlen in unterschiedlichem Ausmaß Teile des Gehirns, der Hirnhäute, des knöchernen Schädeldaches und der Kopfhaut. Das Stammhirn ist lediglich bei einem Viertel der Fälle entwickelt. Weiterhin ist auch die Hirnanhangsdrüse (Hypophyse) unterentwickelt.

Etwa die Hälfte aller Fehlbildungen des Neuralrohrs entfällt auf die Anenzephalie. Anenzephalie trat vor Einführung einer Folsäuregabe in der frühen Schwangerschaft mit einer Betonung des weiblichen Geschlechts (Gynäkotropie 2:1 bis 4:1) auf. In Mitteleuropa wird eine Häufigkeit (Inzidenz) von 1:1.000 angegeben. Lebend geborene Kinder mit dieser Fehlbildung sterben i.d.R. innerhalb der ersten zehn Tage nach der Geburt, ohne intensivmedizinische Behandlung meist schon nach wenigen Stunden.

1926 erschien die erste wissenschaftliche Veröffentlichung zur Anenzephalie von Eduard Gamper, sodass in der Folge auch von einem Gamperschen Mittelhirnwesen gesprochen wurde.

Weitere Falldarstellungen erschienen mit dem ausdrücklichen Hinweis, damit zu einem Verständnis der Leistungen der subkortikalen Hirnstrukturen zu gelangen – wobei sich zeigte, dass das Ausmaß der unterschiedlichen Verhaltenskompetenz ebenso wie die Überlebenszeit von der Höhe der erreichten individuellen Organisations- und Integrationshöhe des entwickelten Nervensystems abhängig war. „So überlebte der Fall von Monnier und Willi (1953) 57 Tage, und er hätte länger gelebt, wenn die Sondenkostgabe nicht unterbrochen worden wäre‘“.

Die Forderung von Befürwortern des Teilhirntodkonzepts hat ethische Fragen aufgeworfen, beispielsweise die Verwendung von Kindern mit Anenzephalie zur Organ- und Gewebespende unter reinen Nützlichkeitsaspekten zuzulassen. Seit Verabschiedung des Transplantationsgesetzes 1997 ist dies in Deutschland untersagt.

Klinische Bedeutung

Mit der Bestimmung des Alpha-1-Fetoprotein im Blut der Schwangeren im Rahmen der Pränataldiagnostik kann im Falle einer erhöhten Konzentration die Wahrscheinlichkeit für eine Neuralrohrfehlbildung errechnet werden. Die Diagnose wird allerdings erst durch entsprechende Ultraschalluntersuchungen gesichert (Fein- oder 3D-Ultraschall).

Obwohl Anenzephalie schon relativ früh im Rahmen der Pränataldiagnostik nachgewiesen werden kann, entscheiden sich weniger Mütter für einen Schwangerschaftsabbruch als bei Trisomie 21 oder Spina bifida (aperta).

NB: Diese Fehlbildung wird mit Bezug auf die Mutter laut ICD-10 (das ist die International Classification of Disease -> Internationale Klassifikation der Krankheiten) mit O35.0 als „Betreuung der Mutter bei (Verdacht auf) Fehlbildung des Zentralnervensystems beim Feten“ (Anenzephalie oder Spina bifida) eingeordnet; mit Bezug auf das Kind mit Q00 („Anenzephalie und ähnliche Fehlbildungen“).

Als Differentialdiagnose (DD) kommen in Frage das Meckel-Gruber-Syndrom (eine Erbkrankheit mit multiplen Fehlbildungen, z.B. Enzephalozele und Nierenzysten) und sonstige sog. dysraphische Entwicklungsstörungen im Bereich des Kopfes und der Wirbelsäule.

Die Schwangeren selbst benötigen verständlicherweise häufig psychische Unterstützung, sind aber körperlich durch die Fehlbildung ihres Kindes selbst nicht gefährdet. „Dies mag dazu beitragen, dass sich heute wieder mehr Schwangere bzw. Elternpaare entscheiden, das Kind auszutragen und es für die wenigen Stunden oder Tage seines Lebens zu begleiten“ (wiki).

Während einer solchen Schwangerschaft sammelt sich oft eine ungewöhnlich große Menge Fruchtwasser an (Hydramnion), da die Kinder mit Anencephalus durch das Fehlen des Schluckreflexes kein Fruchtwasser trinken können. Das Fruchtwasser muss dann ggf. mittels Punktion (Fruchtwasserentlastungspunktion, Amniozentese)) abgelassen werden, da sonst die Gefahr vorzeitiger Wehen und eines vorzeitigen Fruchtblasensprungs besteht.

Die Einleitung der Wehen muss nicht selten künstlich erfolgen, da die Hypophyse der Kinder oft nicht wie üblich arbeitet und für die natürliche Wehenauslösung am Ende der üblichen Schwangerschaftsdauer häufig keine entsprechenden Signale geben kann. Erfahrungswerte zeigen, dass ein künstlich herbeigeführter Fruchtblasensprung die Wahrscheinlichkeit einer Lebendgeburt des Kindes deutlich herabsetzt.

NB: Anenzephalie kommt häufig zusammen mit Akranie als Azephalie (Cranioschisis totalis) sowie einer Spina bifida im Zervikalbereich vor. Neugeborene mit Anenzephalie sind an folgenden Merkmalen zu erkennen:

Fehlen des Endhirns und des Schädeldaches

anstelle des Gehirns liegt mehr oder weniger degenerierte Gewebsmasse frei

vorstehende Augen; Augenlider wirken geschwollen

der Gesichtsschädel ist breit und flach

Fehlen des Halses, Gesicht und Brust bilden eine einheitliche Fläche

die Ohren sind klein, dysplastisch und nach vorn geschlagen

häufig kommt zusätzlich eine Gaumenspalte vor

intakte Atmungs-, Kreislauf- und Temperaturregulationsfunktionen lebend geborene Kinder sind schmerzempfindlich

Eine ausführliche Falldarstellung (Monnier & Willi, 1953) über einen Jungen mit Anenzephalie, der 57 Tage (bis zur Einstellung der Ernährung mittels einer Sonde) überlebte, enthält folgende Beschreibung:

„Die Atmung war labil, aber regelmäßig, er konnte saugen und schlucken, die Körpertemperatur schwankte zwischen 33 und 40 Grad Celsius, beim Berühren der Lippen traten Saugbewegungen, eine Weckreaktion mit Bewegungen des Kopfes, kleine Zuckungen in Armen mit Anheben zum Kopf und eine Greifreaktion der Beine auf. Bei Schmerzreizen im Gesicht traten Abwehrbewegungen des ganzen Körpers, eine Kopfwendung und eine Mundöffnung auf. Auch der übrige Körper reagierte mit Ausnahme bestimmter Regionen auf Schmerzreize mit Kopfwendungen und Streckreaktionen. Auf Zitronensaft zog sich das Gesicht zusammen, Ammoniak löste eine blitzartige Reaktion mit Wegziehen des Kopfes nach hinten, lebhafter Mimik und Ausstoßen eines kurzen Schreies aus. Ferner wurden bestimmte Kopf-, Körper- und Extremitätenbewegungen, spontan und auf Reiz, beobachtet. Außerdem werden verschiedene Ausdrucksfunktionen von Seiten Mimik und Phonation (Jammern, Schreien) beschrieben.“

Im Regelfall sterben (ohne intensivmedizinische Intervention) die betroffenen Säuglinge wenige Tage nach der Geburt. Direkte Todesursache ist i.d.R. Dehydrierung (Austrocknung), da durch den fehlenden Schluckreflex die lebensnotwendige Flüssigkeitsaufnahme nicht erfolgen kann.

Als Ursachen für die Anenzephalie gilt in den meisten Fällen Folsäuremangel der Mutter während der Schwangerschaft. Eine spontane Fehlentwicklung des Embryos ist selten. Genetische Faktoren sind nicht bekannt und können daher nahezu ausgeschlossen werden;

aus demselben Grund ist eine Wiederholungswahrscheinlichkeit bei Frauen, die schon eine Schwangerschaft mit Anencephalus-Fehlbildung hatten, nicht höher als bei der übrigen Bevölkerung (vgl. aber: Fowler-Syndrom: Es handelt sich dabei um eine angeborene Erkrankung mit einer das Gehirn betreffenden Gefäßveränderung (zerebrale Vaskulopathie) und in der Folge mit Gewebsuntergang und Hydrozephalus (Wasserkopf) oder (Hydro)-Anenzephalie. Das Aminopterin-Syndrom ist eine sehr seltene, durch Einnahme von Folsäure-Antagonisten (Aminopterin oder Methotrexat) kurz vor oder während der Schwangerschaft verursachte Embryopathie).

Aus: Monatsschr Psychiatr Neurol 1953
Die integrative Tätigkeit des Nervensystems beim meso-rhombo-spinalen Anencephalus (Mittelhirnwesen)
I. Physiologisch-klinischer Teil
Monnier M., Willi H. Säuglingsheim (Prof. Dr. H. Willi) der Universitäts-Frauenklinik (Prof. Dr. E. Held), Zürich und Laboratoire de Neurophysiologie appliquée (Dr. M. Monnier, Chargé de Cours, Université de Genève)

Werke, Veröffentlichungen & Literatur

Eduard Gamper: Reflexuntersuchungen an einem Anencephalus (Zeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie, 1926)

Was gibt es Neues vom Mittelhirnkind?

Andreas Zieger: Wieviel Gehirn braucht der Mensch?

Anmerkungen zum Anencephalie-Problem aus beziehungsmedizinischer Sicht unter Bezug auf die Schweizer Ärzte und Mediziner Marcel Monnier (1907-1996) und Heinrich Willi (1900-1971): Die integrative Tätigkeit des Nervensystems beim meso-rhombo-spinalen Anencephalus (Mittelhirnwesen). In: Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie (Band 126, 1953)

Obgyn.net. Sunil Kabra: Ultraschall-Bild eines anzenephalischen Fötus. Sonoworld.com, 2005. Luiz Machado: Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis...

Wolfgang Lenhard: Der Einfluss pränataler Diagnostik und selektiven Fetozids auf die Inzidenz von Menschen mit angeborener Behinderung. (Memento des Originals vom 13. Dezember 2009 im Internet Archive) …In: Heilpädagogische Forschung (Band 29, 2003)

Bau und Leistungen eines menschlichen Mittelhirnwesens (Arhinencephalie mit Encephalocele) zugleich ein Beitrag zur Teratologie und Fasersystematik. Eduard Gamper, München.

Aus dem Englischen: Diese Bilder können beleidigend oder schockierend für jeden Betrachter sein und Material enthalten, das viele Menschen für beängstigend oder geschmacklos halten würden. Ich habe die Wahl getroffen, diese Fotos visuell explizit auszuführen, weil es sich um Bilder aus der Natur und ihrem Fehler handelt.

These images can be offensive or shocking to any viewers, containing material many people would consider frightening or distasteful. I have made the choice to run visually explicit these photos because they are images from the nature and its error.

Aus dem Französischen: Diese Bilder mögen für einige Besucher schockierend oder verletzend erscheinen, aufgrund der Art ihres Inhalts, die manche für beängstigend oder abstoßend halten. Ich habe die Wahl getroffen, sie zu zeigen, weil sie Bilder der Natur und ihrer Fehler sind

Ces images peuvent apparaître choquantes ou blessantes à certains visiteurs, par la nature de leur contenu, que certains peuvent considérer comme effrayantes ou répugnantes. J’ai fait le choix de les montrer car elles sont des images de la nature et de ses erreurs

(Solche Warnhinweise findet man sonst nur vor dem Betrachten von Horrorvideos…)

Die anatomische Untersuchung …, deren Ergebnisse im ersten Teil dieser Arbeit dargelegt wurden, hatte uns bestimmt, das von uns beobachtete Geschöpf als Mittelhirnwesen zu bezeichnen. Wir leiteten die Berechtigung dieser Bezeichnung von dem zell- und faseranatomischen Befunde ab, aus dem sich ergab, daß sämtliche Systeme der Medulla spinalis, der Oblongata, der Brücke und des Mittelhirns, soweit sie Ursprung und Ende innerhalb dieser Abschnitte haben, also dem Eigenapparat der einzelnen Abschnitte angehören oder deren gegenseitige Verbindung vermitteln, gut entwickelt waren und nur jene Systeme fehlten oder sich als defekt erwiesen, die unter normalen Verhältnissen in Beziehung zu den proximal vom Mittelhirn folgenden Hirnanteilen stehen. Für das Kleinhirn durften wir mit Rücksicht auf die so gut wie fehlende Markfaser-entwicklung in der Rinde nicht eine der Norm entsprechende Funktionstüchtigkeit behaupten, wir glaubten aber im Hinblick auf die ausgezeichnete Entwicklung der zu- und abführenden Bahnen (die defekten pontocerebellaren Bahnen ausgenommen) dem Kleinhirn doch eine wenigstens globale, nicht feiner differenzierte Mitbeteiligung an dem nervösen Leitungskomplex zuschreiben zu müssen.

So berechtigt uns die Bezeichnung Mittelhirnwesen auf Grund des anatomischen Befundes erschien, so mussten wir doch einen bestimmten Vorbehalt machen. Wir konnten nicht ausschließen, dass das zwar schwer fehlgebildete Zwischenhirn vielleicht doch funktionell von einer gewissen Bedeutung war. Vor allem ließ sich dem im rückwertigen Anteil des 3. Ventrikels gut ausgebildeten Höhlengrau, weiterhin gewissen, gut ausgebildeten, wenn auch mit irgendwelchen normalen Kerngruppen nicht identifizierbaren Nestern großer Nervenzellen die Eignung für eine Mitbeteiligung am nervösen Geschehen nicht absprechen.

Nach dieser kurzen Wiederholung des Wesentlichen aus dem anatomischen Untersuchungsergebnis, das uns die Grundlage für die Deutung der klinischen Erscheinungen bilden wird, sollen nun die Leistungen des von uns beobachteten Mittelhirnwesens ihre Darstellung finden. …

Gähnen und Recken

An die Erörterungen über das Problem des Wachseins und Schlafens, zu dem die Beobachtungen an unserem Falle anregten, soll die Besprechung einer anderen Leistung des Kindes angeschlossen werden, die in innigster Beziehung zum Vorgang des Erwachens steht, das ist das Gähnen und Recken.

Über den Verlauf und die physiologische Bedeutung des Gähnaktes wie über sein Verhalten unter pathologischen Verhältnissen sind wir durch die aus den Ietzten Jahren stammenden Arbeiten von Mayer, Hauptmann und Valentin Dumpert (geb. 1892) in vorbildlicher Weise unterrichtet worden. Gähnen und Recken der Körpermuskulatur gehören nach Dumpert zusammen und bilden einen ursprünglich einheitlichen, erst beim Erwachsenen in seine beiden Hauptbestandteile dissoziierten großen Reflex. Der Effekt des Reflexes ist eine durch die während des Gähnens eintretenden mechanisch-physikalischen Verhältnisse bedingte Beförderung des venösen Abflusses und die Umlagerung der Blutmasse in das arterielle Gefäßgebiet, die noch unterstützt wird durch gleichzeitig auftretende Vasoconstriction in den Körpergefäßen und aktive Vasodilatation des cerebralen Gefäßsystems.

Dadurch wird eine bessere Durchblutung vor allem des Gehirns erzielt und günstige Bedingungen für den cerebralen Funktionsablauf geschaffen. Damit Gähnen und Recken auftritt, müssen, wie Dumpert ausführt, zwei Bedingungen gegeben sein: einerseits eine Anämie oder mangelhafte Durchblutung des Gehirns, die sich mit dem Wachbewußtsein nicht verträgt, anderseits eine Abwehrtendenz des Organismus gegen diese Beeinträchtigung des Bewußtseins. Aus dem Umstand, daß der Reflex nur bei ziemlicher Helligkeit des Bewußtseins auftritt, dagegen bei Trübung des Sensoriums und im leichten Schlaf nicht mehr beobachtet werden kann, folgert Dumpert, daß der Sitz des Gähnzentrums, das mit großer Wahrscheinlichkeit in den subcorticalen Ganglien gelegen ist, nicht allzu tief im Stamme gesucht werden dürfe, im Gegensatz zum Atem-, Herz- und Gefäßzentrum der Medulla, die während des Schlafes nicht ausgeschaltet werden. Nach Dumperts Auffassung ist der Gähn-Reckreflex ein primärer Automatismus im Sinne von Oskar Vogt (1870-1959) und steht im Dienste des jeweils höchstentwickelten Zentrums des Gehirns; seiner Wirkung nach stellt dieser Automatismus einen elementaren, indirekten Gefäßreflex dar, dem das ganze Blutgefäßsystem unterstellt ist.

Können wir nun auf Grund der an unserem Kinde gemachten Beobachtungen in diese von Dumpert gegebene Darstellung des Gähn-Reckreflexes neue Gesichtspunkte bringen?

Ich möchte an dieser Stelle nur auf die Frage des Zusammenhanges zwischen dem Gähn-Reckvorgang und dem Wachsein bzw. Erwachen eingehen, um in einem anderen Zusammenhange, bei Erörterung anderer Reflexvorgänge, auf den motorischen Aufbau des Gähn-Reckaktes zurückzukommen.

Die mechanisch-physikalische Rückwirkung des Gähn-Reckreflexes auf das Zirkulationssystem, wie sie Dumpert dargelegt hat, voll anerkannt, ist es anderseits doch klar, daß die Bedingungen für das Einsetzen des Gähnaktes bei dem großhirnlosen Wesen nicht die sein konnten, die Dumpert als maßgebende Voraussetzungen des Gähnens beim Normalen anführt, mangelhafte Durchblutung des Gehirns, die sich mit dem Wachbewußtsein nicht verträgt, und Abwehrtendenz gegen die Beeinträchtigung des Bewußtseins.

Dumpert hat selbst die Schwierigkeit gefühlt, die sich bei den Anwendung seiner Deutung auf das 7-Monatskind ergibt, dem man keine cortical-bewußte Müdigkeitsempfindung zuschreiben kann; er meint „es müssen da subcortical verlaufende Reflexmechanismen bestehen, die bei irgendwelchen peripheren Reizen, die auch im Gehirn entstehen könnten, das Gähn-Reckzentrum treffen!“

Dumperts Deutung des Gähnaktes verfolgt zweifellos die richtige Bahn, er hat sich jedoch meines Erachtens zu sehr auf die dominante Bedeutung des Großhirns für den Wachzustand des Normalen eingestellt und dadurch eine zu enge Fassung gewählt.

Die Beobachtung an unserem Kinde lehrt, daß der vollausgebildete Gähnakt bereits bei einem Mittelhirnwesen vorhanden ist und dabei in fester Verknüpfung steht mit dem Wachzustand bzw. dem Erwachen; nie konnte während der Schlafphase ein Gähnen oder Recken beobachtet werden. Aus dieser Tatsache möchte ich den Schluss ziehen, daß der Gähn-Reckreflex einen subcorticalen Mechanismus darstellt, der in innigster funktioneller Verknüpfung steht mit dem subcorticalen Apparate, von dem die Tonisierung des gesamten Zentralorgans beim Erwachen und während des Wachseins im Sinne der früher entwickelten Auffassung ausgeht. Ja, man könnte den Zusammenhang geradezu so denken, daß das Gähnen und Recken der unmittelbarste Ausdruck kräftiger Erregungen ist, die, vom „Wachzentrum“ ausgehend, den das ganze Gefäßsystem beherrschenden Automatismus des Gähnens und Reckens anregen und durch die damit eintretende Arterialisierung eine Hauptbedingung des vollen Erwachens erzielen. Das Gähnen und Recken würde gleichsam eine Art Anfeuerung bewerkstelligen, ähnlich der Wirkung eines Blasebalgs, der die Glimmglut zur vollen Entflammung bringt.

Ich stimme also mit Dumpert überein in der allgemeinen Annahme, daß der Gähn-Reckvorgang der Erreichung bzw. Aufrechterhaltung des Wachzustandes zugeordnet ist, ich folge ihm aber nicht in der Behauptung, daß der Apparat im Dienst der jeweils höchst entwickelten Zentren des Gehirns steht, sondern sehe im Gähnen einen dem mit der Regulierung des Wachzustandes des gesamten Zentralnervensystems betrauten Höhlengrauzentrum unterstellten Mechanismus. Daß damit nicht die Beeinflussbarkeit des Mechanismus vom Großhirn her in Abrede gestellt sein soll, ist selbstverständlich, es gilt in dieser Hinsicht das gleiche, was früher über die Abhängigkeit des Höhlengrauzentrums vom Großhirn gesagt wurde.

Tous les articles en allemand sur le bâillement
Pathogénie de la pseudoencéphalie et de l’anencéphalie (méningite foetale)
Etienne Rabaud

Alle Artikel in deutscher Sprache „zum Gähnen“

Pathogenese von Pseudoenzephalie und Anenzephalie (fetale Meningitis)

Nouvelle Iconographie Salpêtrière, Tome 18 N°4 (Masson ed 1905)

Anencéphale en échographie 3D en 2006. Cliché avec l’aimable autorisation de W. Andonotopo

Andonotopo W, Kurjak A, Kosuta MI.Behavior of an anencephalic fetus studied by 4D sonography.J Matern Fetal Neonatal Med. 2005;17(2)

NB: Die Bilder wurden von mir absichtlich weggelassen, weil man sich schon überlegen muss, ob man sie wirklich sehen will…

In einer weiteren Beschreibung zu diesem Thema heisst es:

Dieses Kind zeigte die äußerst frappierende Erscheinung, daß es sich aufsetze, wenn man einen Druck auf den Oberschenkel ausübt. Diese Mitteilung hätte jeden Neurologen mobilisiert“, erzählt GAMPER in der „Vorgeschichte“ seiner Monographie. Und weiter: „Hatte Dr. Wegleiter schon zuvor das große Verdienst erworben, durch Anordnung und Überwachung der sorgsamsten Pflege das schwächliche Kind durch fast 3 Monate am Leben zu erhalten, so war er mir nun behilflich, die Kleine der neurologischen Untersuchung zuzuführen und die spätere anatomische Bearbeitung zu sichern. Um der Gefahr zu entgehen, auf die anatomische Ergänzung des klinischen Befundes infolge Verweigerung der Obduktion durch die Mutter verzichten zu müssen oder das Kind im Falle seiner Übernahme durch die Mutter ganz aus den Augen zu verlieren, trat ich mit ihr durch Herrn Dr. Wegleiter in Verhandlungen, die damit endeten, daß mir die Mutter das Kind mit allen Rechten und Pflichten überließ, daß ich also das Kind gleichsam adoptierte. Nachdem so alle Schwierigkeiten beseitigt waren, ließ mir Herr Kollege Wegleiter am 7. VI. 1923 die Kleine nach Innsbruck bringen „. Nun, ich glaube, das Wissen und eine solche Hingabe an ein Werk, um das Besessensein geradezu von der wissenschaftlichen Arbeit, die einen jungen Mann dazu brachte, diesen „Krötenkopf“ an Kindes statt anzunehmen, muß einfach der Vergessenheit entrissen werden! Und durch die wirklich rührende und aufopfernde Obsorge dieses „Vaters“ für sein Kind ist es auch nicht zu berüchtigten sogenannten „Experimenten“ gekommen, wie sie leider Jahrzehnte später in brutalster Weise ausgeführt wurden, sondern zu einer genialen, im besten Sinne ärztlichen Forschungsarbeit. Für die Geschichte der III. Medizinischen Fakultät wurde es ein gutes Kapitel. Als bereits 3 Monate alter Säugling kam das ,,Nannele“ — so wurde das mißgebildete, blinde Mädchen von seinem „Vater“ zärtlich genannt — nach Innsbruck in die Klinik. „Das Kind machte einen äußerst schwächlichen, hinfälligen Eindruck“ berichtete dazu GAMPER in der Anamnese. Er ließ es daher mit besonderer Sorgfalt und mit größter Behutsamkeit pflegen und betreuen. „Trotz aller Vorsicht trat jedoch die befürchtete Katastrophe bald ein. Am 6. Tag des Aufenthaltes an der Klinik zeigten sich unter Temperaturanstieg die Zeichen einer lobulären Pneumonie, der die Kleine bereits am nächsten Tag erlag“. Aber in dieser einen, kurzen Lebenswoche des Kindes drehte der junge Forscher nun den Film, der die größte fachliche Bedeutung erlangt hat. Der Autor reihte die eindringlichen Szenen mit glänzender Beobachtungsgabe zu einem interessanten Streifen, mit dem er auch wissenschaftliches Neuland entdecken und gewinnen konnte. Die Symptomatik eines Geschöpfes, das nur ein „Mittelhirnwesen“ ist, bei dem also kein Endhirn arbeitet, wird deutlich wiedergegeben. Zeitweise erholte sich das Mädchen, und GAMPER beschrieb das Erstaunliche: „Die Gesamthaltung des Kindes erschien im Allgemeinen ungezwungen und natürlich und erinnerte durchaus an das Bild, das man am normalen Säugling zu sehen gewohnt ist.“ So kann man auch die bei allen Neugeborenen gleichen Labyrinthstellreflexe beobachten

©Naturwiss. med. Ver. Innsbruck, download unter www.biologiezentrum.at

Die Filmserien vom Gähnen und Rekeln sind äußerst aufschlußreich und wertvoll, denn diese Bewegungen seines „Nannele“ brachten GAMPER zur diagnostisch wichtigen Schlußfolgerung: „daß der Gähn-Reckreflex einen subcorticalen Mechanismus darstellt“, „einen endogen angeregten Massenreflex“. Der von GAMPER erforschte, geklärte und dann beschriebene „orale Einstellautomatismus“ konnte von ihm gerade auch an diesem Mittelhirnwesen besonders gut beobachtet und gefilmt werden. Beim Berühren der Lippe öffnet sich der Mund und wird je nach Reizort verschieden konfiguriert; die Zunge ist an diesem Geschehen ebenfalls mitbeteiligt. Die Kopfbewegung wird dem „Sitz des Reizes exakt“ zugeordnet, um den berührenden Gegenstand dann mit schnappenden Bewegungen in den Mund zu bringen. Auch die Augen werden mitbewegt und die Ärmchen zeigen entsprechende tonische Reflexe. Typische Saugbewegungen folgen. Wir können daher die Kleine beim Fingerlutschen und beim Saugen an der Flasche bewundern. Gesunde Säuglinge nuckeln genauso!

Überhaupt erst durch das „nachträgliche, genauere Studium der Filmaufnahmen“, konnte von GAMPER die Reaktion des Kindes auf einfache „Progressivbewegungen“ als MORO’scher Umklammerungsreflex diagnostiziert werden. Den Reflex mit seinen typischen Armbewegungen zeigt ja besonders nett jedes junge Äffchen, das sich schutzsuchend an das Muttertier klammert; zur Erklärung sei’s hier erwähnt. Auch junge Menschenkinder reagieren auf diverse Reize so. —Aber GAMPER beobachtete noch mehr: bei seinem Mädchen sah er immer mit den Armbewegungen auch eine „gesetzmäßige Dorsalflexion des Kopfes“. Er untersuchte sofort gesunde Säuglinge und konnte den gleichen Befund erheben. Damit kam der Wissenschaftler aber „in der Auffassung des MORO’schen Reflexes zu zwei neuen Erkenntnissen Einmal, daß, das bisher geltende Bewegungsbild des Reflexes zu eng ist und durch den Zusatz der reflektorischen Dorsalflexion des Kopfes erweitert werden muß und weiterhin, daß der Reflex nicht als reine Bogengangsreaktion angesehen werden darf.“ Letzteres, schloß GAMPER eben auch. Aus der beobachteten Dorsalflexion des Kopfes, denn diese löst dann die Bogengangsreaktion aus. In einer pietätvollen Erinnerungsstunde für E. GAMPER — 30 Jahre nach dessen tragischem Unfalltod — zeigte Univ.-Prof. Dr. H. GANNER, Vorstand der Universitäts-Nervenklinik, in der Wissenschaftlichen Ärztegesellschaft Innsbruck diesen Film und gab damit dem Autor auf nobelste Art noch einmal Ehre und Respekt. E. GAMPER hinterließ uns diesen Film und die große wissenschaftliche Publikation dazu. In dieser Arbeit findet man eine Fülle von Beobachtungen, Anregungen und eine zukunftsweisende Schau weiterer Experimente. Vielleicht sollten sich Vergangenheit und Zukunft der Medizin wieder einmal die Hände reichen und eine der GAMPER’schen Visionen bearbeiten und verwirklichen…

Eduard Gamper

(* 23. Juni 1887 in Kappl, Tirol – †20. April 1938, Walchensee)

war ein österreichischer Neurologe und Psychiater des 19./20. JH

Erinnerungen an Eduard Gamper. Von Helmut Scharfetter~ Innsbruck.

Vor einem Jahr um diese Zeit ist Eduard Gamper auf einer dringenden Reise nach Innsbruck mit seiner Frau tödlich verunglückt. Eine Kette von widrigen Umständen hat dazu geführt, dass sie am Walchensee mit dem Wagen vom Weg abkamen und ins Wasser gerieten. Obwohl der Wagen nicht gleich unterging und rasch Hilfe bei der Hand war, mißlang die Rettung…

Und als sich an jenem traurigen Frühlingstag die Gräber über den Toten geschlossen hatten und die Frage aufkam, wer Gampers Werk weiterführen werde, begann das Begreifen, was Gamper gewesen ist, und das Erkennen, dass wir mit ihm einen Unersetzlichen vermissen werden.

Was der Forscher Gamper geleistet hat, war in der Fachwelt überall bekannt, und wieviel Ansehen und Zuneigung er in den 8 Jahren als Vorstand der Deutschen psychiatrisch-neurologischen Klinik in Prag gewonnen hat, konnten wir aus dem Mund seiner Prager Kollegen und der Studenten, die zum Begräbnis nach Reutte gekommen waren, hören,. und es war in den überaus herzlichen und aufrichtig trauernden Nachrufen zu lesen. Und wenn immer davon die Rede war, musste man bekennen, dass es keinen zweiten Gamper gibt. Wenn schon einer den Fachmann Gamper ersetzen wird, der Mensch Gamper, dem sich alle Herzen zuwendeten, der Arzt und Kamerad, der fürsorgliche und tatkräftige Freund der Studenten ist verloren. Im Andenken des Akademischen Vereins der Mediziner in Innsbruck lebt Gamper als Vorbild an Wissen, Gemeinschaftsgeist und anhänglicher Treue. Als er sich, so wird mir berichtet, im Studienjahr 1909/10 dieser Korporation anschloss, war er Demonstrator in der Landesgeburtsklinik. Er trat durch Vorträge über den Infektionsmodus bei konnataler Syphilis, über die Pathogenese der Tuberkulose des Kindes und über Geburtshilfe im Altertum hervor. Die Gabe der mühelosen freien Rede und der überzeugenden, klaren Darstellung war schon dem Studenten Gamper eigen. Er beteiligte sich immer an fachlichen Für-und-widerreden und brachte Einsprachen in treffender und oft launiger, aber nie verletzender Weise an. Obwohl der eifrigste Freund der Bücher und der Arbeit, nahm er doch auch am sonstigen Vereinsleben rege teil, und alle mochten ihn gern, zumal weil er stets heiter, freundlich und hilfsbereit war. Als ich 1921 in die Innsbrucker Nervenklinik eintrat, war Gamper dort bereits das 10. Jahr Assistent und seit einem Jahr habilitiert. Dass ich durch ihn an die Klinik gekommen war, wäre allein Grund genug gewesen, reich an ihn zu halten. Gamper war und blieb aber für uns alle ein wahrer Kamerad, der immer bereit war, so oft einer Rat und Hilfe brauchte. Wenn es Not tat, hat er auch unter schwierigen Umständen klug und ungescheut zu vermitteln gewagt. Niemand machte einem das Fragen und Bitten leichter als Gamper, denn er war gütig und kannte seine Leute. Den vielfältig verdienten Dank hat er freilich nicht immer bekommen, aber danach hatte er zuletzt gefragt, und mir scheint, er ist in diesem Stück auch später nicht anders gewesen. Nie hat ihn jemand unfreundlich gesehen und wer ihn nicht kannte, mochte glauben, er kenne keine Mißgestimmtheit und es falle ihm alles mühelos zu. Das war nicht so. Gampers Wesen war nicht einfach. Sicher ist eines: er hatte ein ungemein lebhaftes Temperament, einen vielseitig empfänglichen und gewandten Geist und eine stets aufgeschlossene und allen Eindrücken hingegebene Seele. Daher haben ihn viele nur sprühend vor Lebendigkeit, unternehmungslustig, frohgelaunt und erfolgssicher gekannt und nicht gewusst, dass es noch einen zweiten Gamper gab…

Es ist schon eine Schande: Die deutsche Wiki weiss nichts über Eduard Gamper – na gut die polnische kennt ihn wenigstens (Übersetzung wieder durch Microsoft, diesmal aus dem Polnischen…):

April 1938 in Kappl) war ein deutscher Psychiater.

Er studierte an der Universität Innsbruck, schloss sein Studium 1911 ab und begann eine Spezialisierung in Psychiatrie bei Carl Mayer in Innsbruck. 1920 habilitierte er sich auf dem Gebiet der Psychiatrie und Neurologie. 1925 erhielt er ein Rockefeller-Stipendium bei Spielmeyer in München. Ab 1930 war er Professor für Psychiatrie an der Universität Prag. Im akademischen Jahr 1935/1936 war er Dekan der medizinischen Fakultät der Universität. Im April 1938 kam er in Walchensee bei einem Autounfall ums Leben.

(ur. 23 czerwca 1887 w Kappl, zm. 20 kwietnia 1938 w Walchensee) – niemiecki lekarz psychiatra.

Studiował na Uniwersytecie w Innsbrucku, w 1911 roku ukończył studia i rozpoczął specjalizację z psychiatrii u Carla Mayera w Innsbrucku. W 1920 roku habilitował się w dziedzinie psychiatrii i neurologii. W 1925 roku na stypendium Rockefellera u Spielmeyera w Monachium. Od 1930 profesor zwyczajny psychiatrii na Uniwersytecie w Pradze. W roku akademickim 1935/1936 był dziekanem wydziału medycznego tej uczelni. Zginął wraz z żoną w wypadku samochodowym 20 kwietnia 1938 roku w Walchensee.

Werke, Veröffentlichungen &Literatur

Jürgen Peiffer. Hirnforschung in Deutschland 1849 bis 1974: Briefe zur Entwicklung von Psychiatrie und Neurowissenschaften sowie zum Einfluss des politischen Umfeldes auf Wissenschaftler. Springer

Scharfetter H., Erinnerungen an Eduard Gamper, „Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten”, 109 (5), 1939), DOI: 10.1007/BF02040585 (niem.).