50 shades of brain > 37 Edinger-Westphal-Kern

Was sind das für gestörte Typen, die zuhause „auf dem heimischen Küchentisch“ Dünnschnitte von Gehirnen totgeborener menschlicher Föten“ anfertigen? Da ist es nur konsequent, dass er auch sein eigenes Gehirn sezieren ließ (nach seinem Tode – versteht sich…).

Es soll jetzt keiner auf die Idee kommen, das nun wieder den Juden in die Schuhe zu schieben. Ich erinnere mich, dass ich selbst im Rahmen meiner tierexperimentellen Doktorarbeit (von der ich mich heute distanziere…) mit frischtrepanierten und narkotisierten Katzen auf dem Rücksitz eines Audi 80 durch ganz München fuhr, um meine Lieblingstiere bei Professor Holländer im histologischen Institut für Tiermedizin in Schwabing abzuliefern, um sie dort perfundieren und härten zu lassen sowie mit Meerrettich-Peroxidase (HRP) zu markieren …

Hätte Edinger nur entdeckt, dass das Gehirn aus alten (Paläenzephalon) und neuen Anteilen (Telenzephalon) besteht, wäre ihm heute der Medizin-Nobelpreis sicher. „Ausgehend von Fischen, über Amphibien und Reptilien zu Vögeln und Säugetieren fortschreitend, entdeckte Edinger eine Grundstruktur des Wirbeltiergehirns: das Ur- oder Althirn und das sich in der Evolution überproportional ausbildende Neuhirn, auf dem die höheren kognitiven Leistungen des Menschen beruhen“ (Medizinhistoriker und Edingerforscher Dr. Gerald Kreft).

Und das Gleiche gälte für die Entdeckung der Schmerzbahnen. Der Edinger-Trakt leitet die Nervenfasern für Schmerzwahrnehmung, Temperatur, Druck & Berührung.

Dass er als erster Neurologieprofessor in Deutschland gilt, relativiert sich schnell, wenn man z.B. weiss, dass auch die ersten Neurochirurgen im Prinzip nur Allgemeinchirurgen waren. Einer meiner Kollegen im Klinikum Großhadern (Professor Öckler) rühmte sich gerne spaßeshalber mit seinem unvergleichlichen bayerischen Humor: Er sei der erste und einzige geprüfte Neurochirurg im Klinikum…

Aber was wurde nun aus dem Hirn von Edinger? (The brain of Ludwig Edinger. An inquiry into the cerebral morphology of mental ability and left‐handedness)

Hier steht die Antwort: Deutschsprachige Neurologen und Psychiater: Ein biographisch …

von Alma Kreuter

Walther Riese, Kurt Goldstein

First published: April 1950, https://doi.org/10.1002/cne.900920203

Warum befindet sich keine einzige Frau unter diesen Verrückten? Ich beantrage hiermit eine Quotenregelung für verrückte Hirnforscherinnen!

Edinger ist noch so interessant …und seine Familie (Tilly, Anna, Carl Weigert…) – ein Paradebeispiel deutsch- jüdischen Lebens, das auch an den Komponisten Felix Mendelssohn-Bartholdy erinnert.

Der Club der außergewöhnlichen Männer… Ocean`s 76…

Totes (Ge-)Wissen für die Katz…

Die jüdischen Geschichten sind halt schon seit der Bibel immer interessanter als andere… (oder kommt das nur mir so vor…). Edingers Lebensgeschichte kann geradezu als Muster eines deutsch-jüdischen Lebens im Deutschland des 19./20. JH  im Kaiserreich zwischen 1870 und dem I. Weltkrieg bis 1918 betrachtet werden.

Edinger auf seinen Kern zu reduzieren, würde diesem Forscher nicht gerecht werden – aber genau deswegen ist er hier in diesem Buch versammelt. Edingers Kern ist der sog. viszeromotorische Kern des schon mehrmals erwähnten III. Hirnnerven, also des N. Oculomotorius.

Seine Hauptleistung lag jedoch sicher auf dem Gebiet der vergleichenden Neuroanatomie. Auf diesem Weg entdeckte er auch die uralten Teile unseres Gehirns (wozu auch das Reptiliengehirn gehört…), und die zunehmende Rolle des Grosshirns für die Entwicklung des Menschen.

Legendär sind seine neuroanatomischen Umtriebe am heimischen Küchentisch, sein Senckenbergisches Forschungsinstitut, seine Mitgründerschaft an der Frankfurter Universität – und sein Hirn, das er großzügig zur Sektion zur Verfügung stellte, …

Bald aber schließt ein Kreis um einen muntern Alten,
Der die Natur erforscht und ihre Schönheit kennt;
Der Kräuter Wunder-Kraft und ändernde Gestalten
Hat längst sein Witz durchsucht und jedes Moos benennt;
Er wirft den scharfen Blick in unterirdsche Grüfte,
Die Erde deckt vor ihm umsonst ihr falbes Gold,
Er dringet durch die Luft und sieht die Schwefel-Düfte,
In deren feuchter Schoß gefangner Donner rollt;
Er kennt sein Vaterland und weiß an dessen Schätzen
Sein immerforschend Aug am Nutzen zu ergötzen.

37 Edinger-Westphal-Kern

Edinger-(-Westphal-)Kern (lat. Nuc accessorius nervi oculomotorii, engl. Edinger-Westphal nucleus)

Es handelt sich um das Ursprungskerngebiet der parasympathischen Nervenfasern des III. Hirnnervs (N. oculomotorius) und liegt im Mittelhirn.

Edinger beschrieb ihn 1885 am fetalen menschlichen Gehirn, Westphal dann 2 Jahre später im Gehirn des Erwachsenen.

Hintergrund & Insiderwissen

Dieses viszeromotorische Kerngebiet im Mittelhirn (Mesencephalon) des Nervus oculomotorius steuert den Pupillenreflex und damit die Adaptation des Auges. Es liegt mediolateral des Nuc N. Oculomotorii.

Seine Afferenzen bezieht der Kern über Sehnerv und Tractus opticus, wobei diese Nervenfasern nicht über den sog. seitlichen Kniehöcker (Corpus geniculatum laterale, CGL), sondern direkt in den Epithalamus projizieren. Hier werden sie im Nuc pretectalis auf Interneurone umgeschaltet, die dann beidseitig zum Edinger-Westphal-Kern ziehen.

Seine Efferenzen versorgen die parasympathischen inneren Augenmuskeln (M. ciliaris und M. sphincter pupillae) und ziehen über das Ganglion ciliare zum Pupillenverenger und zum Ziliarmuskel. (Pschy)

Klinische Bedeutung

Ein Ausfall des Edinger-Westphal-Kerns zeigt sich in einer Weitstellung der Pupille (Mydriasis) durch Übergewicht des Sympathikus, also des Musculus dilatator pupillae, sowie der Unfähigkeit zur Nahakkomodation (durch Lähmung des Ziliarmuskels). Dies führt zu einer Licht-Überempfindlichkeit und zur Unfähigkeit, nahe Objekte scharf zu sehen.

Nach Edinger wurden außerdem benannt

Edinger-Bahn (Edinger-Bündel, Edinger-Trakt, lat. tractus spino-thalamicus, engl. Edinger’s tract)

Es handelt sich um die Leitungsbahn für die Wahrnehmung von Schmerz, Temperatur, Druck und Berührung. Das „Nervenbündel“ zieht vom RM bis zum Thalamus und wurde von Edinger 1887 entdeckt.

Edinger-Hinterstrangfeld (engl. Edinger’s postcommissural zone):

Kleines, an die hintere graue Kommissur des RM angrenzendes Feld im Hinterstrang als Bereich des „Hinterstranggrundbündels“ (Fasciculus proprius posterioris). („gesundheit.de“)

und die 1909 von ihm gefundene

Edinger-Regel: Bei fortschreitendem phylogenetischem Entwicklungsgrad übernimmt das Großhirn (Telencephalon) verstärkt die Kontrolle über sensorische und motorische Funktionen.

Ludwig Edinger

(* 13.04.1855 in Worms; † 26.01.1918 in Frankfurt am Main)

war ein deutscher Arzt jüdischer Herkunft (Nervenarzt…) und Hirnforscher des 19./20. JH.

Ludwig Edinger, Quelle: Senckenberg

Biographisches

1912 war Edinger einer der Mitunterzeichner des Stiftungsvertrags zur Gründung der Universität Frankfurt am Main (eröffnet 1914). Im gleichen Jahr wurde er vom König von Preußen zum Professor für Neurologie ernannt – als erster Forscher in Deutschland.

Edinger ist vor allem auch der Begründer der vergleichenden Neuroanatomie. Aufgrund seiner vergleichenden anatomischen Studien im menschlichen Gehirn konnte er „alte“ und „neue Hirnabschnitte unterscheiden („Palaeencephalon“, „Neencephalon“).

Quelle: Senckenberg
Portrait Ludwig Edinger von Lovis Corinth (1909), Quelle: Wikidata

Ludwig Edinger war jüdischer Abstammung und wuchs in Worms auf. Sein Vater, Marcus Edinger (1820-1879), war erfolgreicher Textilgroßkaufmann und demokratischer Abgeordneter im Landtag von Hessen-Darmstadt, der sich seiner Herkunft aus ärmlichen Verhältnissen nicht schämte, sondern bereits 1873 (vergeblich) für die Schulgeldfreiheit eintrat und diverse Wohlfahrtseinrichtungen begründete. Seine Mutter Julie war die Tochter eines bedeutenden Karlsruher Arztes (wer?). Ludwig Edinger studierte von 1872 bis 1877 Medizin in Heidelberg (bis 1874) und in Straßburg, wandte sich aber erst in seiner Tätigkeit als Assistenzarzt (1877–1882) in Gießen der Neurologie zu, die er auch zum Gegenstand seiner Habilitation machte (1881) und aufgrund derer er eine Privatdozentur erhielt (Angeblich soll diesbezüglich auch Ernst von Leyden (1832-1910) großen Einfluss auf ihn gehabt haben…).

Nach Tätigkeiten in Berlin, Leipzig und Paris (wo er jeweils Kontakte zu den Koryphäen Westphal (s.d.), Wernicke (s.d.), Ehrlich (s.d.), Erb (1840-1921), Strümpell (1853-1925), Möbius (Paul Julius Möbius oder Moebius, * 24. Januar 1853 in Leipzig; † 8. Januar 1907 ebenda, war ein deutscher Neurologe, Psychiater und Wissenschaftspublizist…), Kraepelin (1856-1926) , Flechsig (s.d.) und Charcot (1825-1893) gehabt haben soll – unsereins hat gerade mal Cliff Richard, The Beatles, The Rolling Stones, The Kinks, The Who und ein paar andere für wenige Stunden live gesehen…) ließ er sich 1883 in Frankfurt am Main als „Practischer Arzt und Spezialist für Nervenheilkunde“ nieder. „Ich war fast der erste in Deutschland, der diese Spezialbezeichnung wagte“, erinnerte er sich.

Auf Edingers Initiative wurde 1885 der andernorts vom Antisemitismus betroffene Pathologe Carl Weigert (1845-1904) zum Direktor der Dr. Senckenbergischen Anatomie in Frankfurt am Main berufen. Weigert räumte seinem Freund Edinger umgehend einen Arbeitsplatz in diesem Institut ein. Aber erst 1902 erhielt Edinger in dem Gebäude einen eigenen Raum für seine neurologische Abteilung, die dadurch zum „Dr. Senckenbergischen Neurologischen Institut“ avancierte. Im folgenden Jahr wurde er auch offiziell zum Direktor des von ihm begründeten Instituts ernannt, das er stetig weiter ausbaute. Obwohl der Hirnforscher das Institut privat finanzierte, fürchtete die Senckenbergische Stiftung zusätzliche materielle Belastungen und löste daher nach langen Querelen 1908/09 die Bindung. Aber schon bald darauf konnte Edinger das Neurologische Institut an die neu gegründete Frankfurter Universität anschließen (1914). In seiner Ernennungsurkunde zum Professor war allerdings ebenfalls ausdrücklich vermerkt, dass er sein Institut weiterhin aus eigener Tasche zu unterhalten habe. Möglich war ihm dies u. a. deshalb, weil er seit 1886 mit Anna Goldschmidt (1868–1929), Sozialpolitikerin und Tochter einer in Frankfurt alteingesessenen jüdischen Bankiersfamilie verheiratet war und diese 1906 ein Millionenerbe angetreten hatte. 1908 wurde er zum korrespondierenden Mitglied der Göttinger Akademie der Wissenschaften gewählt.

Am 26. Januar 1918 starb Ludwig Edinger überraschend an Herzversagen. Beigesetzt wurde er auf dem Frankfurter Hauptfriedhof. Noch nach seinem Tod zeigte er sich als „Hirnforscher bis zur letzten Konsequenz“: Er hatte verfügt, dass sein Gehirn in seinem Institut seziert werden sollte… (vgl. die Gehirne von Einstein und Giacomini…)

Den Fortbestand seines Neurologischen Instituts hatte Edinger 1917 durch die Einrichtung einer Stiftung gesichert. Der Ludwig-Edinger-Stiftung gehört das – mittlerweile ebenfalls den Namen seines Gründers tragende – Neurologische Institut am Klinikum der Frankfurter Goethe-Universität bis heute; im Fachbereich Medizin ist es ein „Institut besonderer Rechtsnatur“. Das Edinger-Institut bezeichnet sich selbst als das „älteste Hirnforschungsinstitut Deutschlands“.

Das Stifterehepaar erhielt 1945 eine späte Würdigung ihrer Verdienste um die Medizin, indem die damalige Walter-Flex-Straße wieder ihren ursprünglichen Namen Edingerweg zurückerhielt.

Forschungsthemen

Anfangs noch am heimischen Küchentisch in Frankfurt, da ihm als Jude wegen des um 1882/83 wieder aufflammenden Antisemitismus zunächst die wissenschaftliche Laufbahn an einer deutschen Universität versagt geblieben war, fertigte Edinger Dünnschnitte von Gehirnen totgeborener menschlicher Fötenan und begann so im Verborgenen mit seiner anatomischen Grundlagenforschung, die bahnbrechend in der Neurologie werden sollte. Erste Ergebnisse stellte Edinger 1884 dem Ärztlichen Verein vor, in zehn Vorlesungen über den Bau des menschlichen Gehirns, die er kurz darauf in Buchform publizierte. Durch dieses Werk wurde er schlagartig in internationalen Fachkreisen bekannt als Experte für die Anatomie des menschlichen Gehirns und für dessen Entwicklung während der Embryonalphase.

Edinger dehnte seine Studien auf das Vorder- und Zwischenhirn von Haien, Amphibien, Reptilien und Vögeln aus und konnte so die Entwicklungsgeschichte des Gehirns während der Evolution nachvollziehen. Edingers Idee war es, durch den detaillierten Vergleich des Gehirns in der evolutionär aufsteigenden Tierreihe einzelnen Hirnteilen definierte Leistungen zuzuordnen.

Ein Hirnforscher der ersten Stunde

Zum 150. Geburtstag des Frankfurter Neurologen Ludwig Edinger

Auf ihn geht die Tradition der Hirnforschung in Frankfurt zurück: Der Neurologe Ludwig Edinger gründete 1885 das Neurologische Institut in der Mainstadt, das älteste Hirnforschungsinstitut in Deutschland. Edinger erarbeitete die Grundlagen der Neuroanatomie und wies Wege für die moderne Neurowissenschaft.

Frankfurt am Main (pia)

In seiner frühen Frankfurter Zeit war Ludwig Edinger rund um die Uhr tätig. Tagsüber besorgte er seine gesuchte Arztpraxis, und in der Nacht erforschte er die Anatomie des menschlichen Gehirns. Zu diesem Zweck hatte er sich in seinem Schlafzimmer ein provisorisches Laboratorium eingerichtet, an einem alten Küchentisch mit einem kleinen Mikroskop sowie ausrangierten Vasen und Konservengläsern als Laborgefäßen. Der Mediziner musste seine neuroanatomischen Forschungen auch deshalb in sein Schlafzimmer verlegen, weil ihm als Juden bisher die wissenschaftliche Laufbahn an einer deutschen Universität versagt geblieben war. So begann er im Verborgenen mit seiner anatomischen Grundlagenforschung, die bahnbrechend in der Neurologie werden sollte.

Vor 150 Jahren, am 13. April 1855, wurde Ludwig Edinger als Sohn eines erfolgreichen Textilfabrikanten in Worms geboren. Er studierte Medizin in Heidelberg und Straßburg, wandte sich aber erst in seiner Assistentenzeit in Gießen der Neurologie zu, die er auch zum Gegenstand seiner Habilitation machte. Im Jahr 1883 ließ sich Ludwig Edinger als „Practischer Arzt und Spezialist für Nervenheilkunde“ in Frankfurt nieder. „Ich war fast der erste in Deutschland, der diese Spezialbezeichnung wagte“, erinnerte er sich. Noch in seinem ersten Winter in der Mainstadt nahm er die erwähnten neuroanatomischen Studien auf. Erste Ergebnisse stellte Edinger 1884 dem

Ärztlichen Verein vor, in zehn Vorlesungen über den Bau des menschlichen Gehirns, die er kurz darauf in Buchform publizierte. Durch dieses Werk wurde er schlagartig in internationalen Fachkreisen bekannt.

Im Mittelpunkt der Arbeit stand die vergleichende Neuroanatomie. Edingers Idee war es, durch den detaillierten Vergleich des Gehirns in der evolutionär aufsteigenden Tierreihe einzelnen Hirnteilen definierte Leistungen zuzuordnen. „Ausgehend von Fischen, über Amphibien und Reptilien zu Vögeln und Säugetieren fortschreitend, entdeckte Edinger eine Grundstruktur des Wirbeltiergehirns: das Ur- oder Althirn und das sich in der Evolution überproportional ausbildende Neuhirn, auf dem die höheren kognitiven Leistungen des Menschen beruhen“, erläutert der Medizinhistoriker und Edingerforscher Dr. Gerald Kreft.

1907 bezog Edinger mit seinem Institut den zweiten Stock der neu erbauten Dr. Senckenbergischen Pathologie auf dem Gelände des Städtischen Krankenhauses (des späteren Universitätsklinikums) in Sachsenhausen. Aber obwohl der Hirnforscher das Institut privat finanzierte, fürchtete die Senckenbergische Stiftung zusätzliche materielle Belastungen. Sie löste daher nach langen Querelen 1908/09 die Bindung. Aber schon bald darauf konnte Edinger das Neurologische Institut an die neu gegründete Frankfurter Universität anschließen. Im Eröffnungsjahr 1914 wurde er zum ordentlichen Professor für Neurologie ernannt: Edinger war damit der erste Ordinarius dieser Fachrichtung in Deutschland. In der Ernennungsurkunde war allerdings ausdrücklich vermerkt, dass er sein Institut weiterhin aus eigener Tasche zu unterhalten habe.

Derweil schmiedete Edinger weitreichende Pläne: Er wollte sein Institut großzügig ausbauen zu einer interdisziplinären Arbeitsstätte, um etwa eine Brücke zwischen Hirnforschung und Psychologie zu schlagen, womit er die Idee von einer umfassenden Neurowissenschaft (Neuroscience) vorwegnahm. Alle „interakademischen Hirnforschungsstätten“ sollten zudem in einer in Paris gegründeten „Brain Commission“ auf internationaler Ebene kooperieren. Durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs konnte Edinger diese Vorhaben nicht realisieren. Stattdessen widmete sich der Hirnforscher ganz pragmatisch den bei verwundeten Soldaten auftretenden Nervenverletzungen.

Am 26. Januar 1918 starb Ludwig Edinger unerwartet. Noch nach seinem Tod zeigte er sich als Hirnforscher bis zur letzten Konsequenz: Er hatte verfügt, dass sein Gehirn in seinem Institut seziert werden sollte.

Den Fortbestand des Neurologischen Instituts hatte Edinger 1917 durch die Einrichtung einer Stiftung gesichert. Der „Ludwig-Edinger-Stiftung“ gehört das – mittlerweile ebenfalls den Namen seines Gründers tragende – Institut bis heute. Derzeit ist geplant, dass das Edinger-Institut zusammen mit dem Forschungslabor der Neurologischen Klinik und anderen Neurofächern ein „Neurowissenschaftliches Zentrum“ am Universitätsklinikum bilden soll. Damit wäre endlich die „interakademische Hirnforschungsstätte“ in Frankfurt geschaffen, von der Edinger einst geträumt hat.

Wochendienst, hg. v. Presse und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main, Nr. 14 vom 12.04.2005

Ausgehend von Fischen, über Amphibien und Reptilien zu Vögeln und Säugetieren fortschreitend, entdeckte Edinger eine Grundstruktur des Wirbeltiergehirns: das Ur- oder Althirn und das sich in der Evolution überproportional ausbildende Neuhirn, auf dem die höheren kognitiven Leistungen des Menschen beruhen“, erläutert der Medizinhistoriker und Edingerforscher Dr. Gerald Kreft.

Von Ludwig Edinger stammen die ersten Farbtafeln mit Querschnitten durch die Gehirne der unterschiedlichen Tierstämme – Farbtafeln, die in ähnlicher Weise noch heute jedes Lehrbuch der Hirnanatomie schmücken.

Er entdeckte fast täglich neue, unbekannte Strukturen; seine wichtigsten Entdeckungen betrafen den Verlauf der Schmerzbahn und den Nucleus accessorius des N. Oculomotorius (Edinger-Westphal-Kern), der das Ursprungskerngebiet der parasympathischen Nervenfasern des dritten Hirnnervs (N. oculomotorius) darstellt, der den Pupillenreflex und damit die Adaptation des Auges steuert.

Sein Ruhm war so groß, dass sich z.B. Korbinian Brodmann (s.d.), der die bis heute international gültige Gliederung der Großhirnrinde vornahm, vor der definitiven Namensgebung der Zustimmung Edingers versicherte.

Ludwig Edinger beließ es aber nicht bei rein anatomischen Studien, sondern wandte sein Interesse auch der vergleichenden Psychologie zu und wurde so zu einem Wegbereiter der Tierpsychologie, aus der die moderne Verhaltensbiologie hervorging. Er versuchte, aus dem Bau des Gehirns die Funktion zu erklären und konnte u. a. nachweisen, dass die Forscher beim Untersuchen von Sinnesempfindungen der Tiere zuvor stets vom Menschen und dessen Sinnesleistungen ausgegangen waren. Edinger hingegen konnte zeigen, dass viele Tiere auf bestimmte Reize allein schon deswegen nicht reagieren können, weil sie im Gehirn keine für die Reizverarbeitung geeigneten Strukturen besitzen. Er war so der erste Forscher, der erkannte, dass Fische und Amphibien nicht länger als „taub“ angesehen werden können, weil sie mit einem Glockenton aus anatomischen Gründen nicht das verbinden, was wir Menschen mit einem solchen akustischen Reiz verbinden. Edinger führte die Unterschiede im Verhalten der höheren Tiere also auf die Entwicklung zusätzlicher Hirnteile zurück.

Viele seiner Erkenntnisse haben bis heute Bestand, allerdings sprechen neuere Forschungsergebnisse dafür, dass die „alten“ Hirnstrukturen zum Beispiel der Vögel im Verlauf der Evolution auch Funktionen übernommen haben, für die bei Säugetieren das Großhirn zuständig ist.

Ludwig und Anna Edinger hatten drei Kinder: Fritz Edinger (1888–1942), Dora (1894–1982) und Tilly (1897–1967). Fritz war promovierter Nervenarzt und Soziologe, die Tochter Tilly Edinger wurde die Begründerin der „Paläoneurologie“ in Deutschland.

Und in der Frankfurter Allgemeinen liest sich das so:

Ludwig Edinger: Ein Pionier der Neurologie (Aktualisiert am 13.04.2005-20:22)

Seine Studenten verblüffte Ludwig Edinger mit einer erstaunlichen Fertigkeit: Er malte mit der linken Hand eine anatomische Zeichnung an die Tafel, während er sie gleichzeitig mit der rechten Hand beschriftete.

Aber auch sonst war der Neurologe ein bemerkenswerter Mann. Er gehörte nicht nur zu den Gründungsmitgliedern der Frankfurter Universität im Jahr 1914, sondern erwarb sich auch durch seine Arbeit in der Hirnforschung einen international hervorragenden Ruf. Besonderes Augenmerk widmete er den verschiedenen Arealen des Hirns und ihrer Evolution. Auf Edinger geht die Unterscheidung in ältere („Palaeencephalone„) und neu erworbene Abschnitte („Neencephalone„) des Gehirns sowie die Entdeckung der Schmerzbahnen zurück. Seine Arbeiten und Hypothesen haben bis heute Auswirkungen auf die Neurologie.

Mit einer akademischen Feier und anschließendem wissenschaftlichen Symposion gedachte die Goethe-Universität am Mittwoch des 150.Geburtstages von Ludwig Edinger. Geboren 1855 in Worms, studierte er Medizin unter anderem in Heidelberg und Gießen, wo er sich 1881 auch habilitierte. Schon während seines Studiums hatte er sich für Krankheiten des Nervensystems interessiert. Nach seiner Habilitation wurde ihm in Gießen zwar eine Privatdozentur angeboten, doch sah er dort wegen antisemitischer Ressentiments keine Zukunft für sich. Nach Jahren der wissenschaftlichen Wanderung, die ihn unter anderem nach Straßburg und Paris führten, ließ er sich schließlich in Frankfurt als Arzt für Neurologie nieder.

Neben seiner täglichen praktischen Arbeit als Mediziner trieb er eigene Studien am heimischen Küchentisch, den er für Sektionen umgebaut hatte; die von ihm untersuchten Gehirne bewahrte er in Einmachgläsern auf. Im Herbst 1884 erhielt er die Einladung, seine Erkenntnisse im Kreise anderer Ärzte vorzutragen. Diese „Zehn Vorlesungen über den Bau des menschlichen Gehirns“ wurden schnell bekannt und etablierten Edinger als Koryphäe auf dem Gebiet der Neurowissenschaften. Sie wurden später erweitert und als Buch auch im Ausland veröffentlicht.

Im Jahr 1885 konnte Edinger auf Bemühen seines Freundes, des Pathologen Carl Weigert, seine Studien in den Gebäuden der Senckenbergischen Stiftung weiterführen, wo er 1903 ein eigenes Labor erhielt. Fünf Jahre später zog das Institut für Neurologie in den zweiten Stock des Neubaus der Senckenbergischen Pathologie. 1914 ernannte ihn Kaiser Wilhelm II. zu seinem „persönlichen Ordinarius für Neurologie“. Damit war Edinger der erste Professor für Neurologie in Deutschland.

Vier Jahre später starb Edinger an einer Thrombose, verursacht durch eine Operation. Als Wissenschaftler bis zum Ende verfügte er, daß sein Gehirn untersucht werden solle.

Edinger suchte intensiv Kontakt zu anderen Forschungsrichtungen, insbesondere der Psychologie. Interdisziplinarität und praktische Anwendbarkeit waren Grundsätze seiner wissenschaftlichen Arbeit. Überdies war er kulturell und sozial engagiert und als Künstler bekannt. Die anatomischen Schaubilder seiner Bücher und Vorlesungen fertigte er selbst an.

Das Institut für Neurologie finanzierte sich durch die von ihm ins Leben gerufene Ludwig-Edinger-Stiftung, deren 1919 festgeschriebene Satzung für die damalige Zeit beispiellos liberal war, wie Kulturdezernent Hans-Bernhard Nordhoff in seinem Grußwort zur Feierstunde sagte. So war unter anderem festgelegt, daß kein Bewerber allein aufgrund seiner Konfession benachteiligt werden dürfe. Als Folge beherbergte das Institut eine ganze Reihe jüdischer Wissenschaftler, die später ebenfalls berühmt werden sollten, so zum Beispiel Kurt Goldstein (1878-1965), der als Begründer der Psychosomatik und der Neuropsychologie gilt.

Im Zuge der „Arisierung“ wurde die Edinger-Stiftung 1938 in „Stiftung für Neurologie“ umbenannt. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde das Institut durch den Neuropathologen Wilhelm Krücke (1911-1988) wiederaufgebaut und im Geiste Edingers weitergeführt. Heute befindet es sich im Gebäude des Max-Planck-Instituts (MPI).

Zur Feier im Universitätsklinikum fanden sich neben Vertretern von Universität, Stadt und Land auch Mitglieder und Freunde der Familie Edinger ein. Als Ehrengast empfangen wurde Ludwig Edingers Enkel, der Politikwissenschaftler Lewis Joachim Edinger (1922-2008) aus New York. Christiane Edinger (geb. 1945), Urgroßnichte Ludwig Edingers und Professorin für Violine an der Musikhochschule Lübeck, sorgte mit Bach-Interpretationen für musikalische Untermalung.

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Und im hr 2:

Ludwig Edinger (1855-1918) ließ sich 1883 in Frankfurt als erster Spezialist für Nervenkrankheiten nieder, nachdem der allgegenwärtige Antisemitismus dem Habilitierten eine Universitätskarriere unmöglich gemacht hatte. Seine ersten Studien zur Entwicklung des menschlichen Gehirns unternahm er an einem alten Küchentisch in seinem Schlafzimmer.

Edinger entdeckte, dass es ein eigenes System von Nervenfasern für die Weiterleitung von Schmerzsignalen gibt; zahlreiche Hirnstrukturen und Arbeitsmethoden sind nach ihm benannt.

Aus eigenen Mitteln baute er ein Neurologisches Institut auf, das zu den Stiftern der Universität Frankfurt gehörte. Dort bekleidete er das erste Ordinariat für das Fach Neurologie in Deutschland. Sein Engagement ging so weit, dass er sein eigenes Gehirn seinem Institut vermachte, wo es seziert wurde.

Noch heute werden im Edinger-Institut der Universität Frankfurt Nervenkrankheiten erforscht.

Frühe naturwissenschaftliche Interessen bestimmten E. zum Studium der Medizin (Heidelberg und Straßburg). Er promovierte mit einer vergleichend-anatomischen Arbeit 1876 bei W. Waldeyer (s.d.). Die Assistentenzeit bei Adolf Kußmaul (1822-1902, der mit der Kußmaul-Atmung…) brachte ihm die klinischen Fragestellungen der Neuropathologie nahe. Er habilitierte sich 1881 in Gießen und ließ sich 1883 als Nervenarzt in Frankfurt nieder. Bei Eröffnung der Universität Frankfurt/Main (1914) wurde Edinger von Kaiser Wilhelm zum persönlichen Ordinarius für Neurologie berufen. Mit privaten Mitteln hat E. seine Studien über das Nervensystem durchgeführt und in einer großen Zahl von Arbeiten zu den Grundlagen der neurologischen Wissenschaft beigetragen.

Die Unterscheidung stammesgeschichtlich alter (paläenzephaler) und neuer (neenzephaler) Abschnitte im menschlichen Gehirn sind, wie die Entdeckung des zentralen Verlaufes der Gefühlsbahnen, der Thalamusschmerzen, einige seiner wichtigsten Einzelarbeiten.

Unter seinen zusammenfassenden Darstellungen geben die „Vorlesungen über den Bau der nervösen Zentralorgane“ (I, 1885, II, 1908) die Summe seiner Erfahrungen wider, die – mit Hilfe der vergleichenden Morphologie gewonnen – das Verständnis der Funktion des Zentralorganes beim Menschen zum Ziel hatten. Mit dem Neurologischen Institut, das in enger Verbindung mit dem Senckenbergischen Pathologischen Institut seines Freundes Carl Weigert begründet wurde, heute Edinger-Institut der Universität, schuf er eine der ältesten Stätten der Hirnforschung.

Quellen, Werke & Veröffentlichungen

Über das Gehirn von Myxine glutinosa (Berlin, 1906)

Einführung in die Lehre vom Bau und den Verrichtungen des Nervensystems (Leipzig 1909 und 1912)

Mein Lebensgang. Erinnerungen eines Frankfurter Arztes und Hirnforschers. Hrsg. von G. Kreft, W.F. Kümmel, W. Schlote und R. Wiehl (Verlag Waldemar Kramer, Frankfurt/M. 2005)

Zur Kenntnis d. Verlaufes d. Hinterstrangfasern in d. Medulla oblongata u. im unteren Kleinhirnschenkel in: Neurolog. Cbl., 1885; Über d. Verlauf d. centralen Hirnnervenbahnen, (Edinger-Westphalscher Kern d. N. oculomotorius b. menschl. Foeten)

Gibt es central entstehende Schmerzen? in: Dt. Zs. f. Nervenheilkde. 1, 1891

Unters. üb. d. Neubildung durchtrennter Nerven, ebd. 58, 1918

Unterss. üb. d. vgl. Anatomie d. Gehirnes, in: Abhh. d. Senckenberg. Naturf.Ges. 15-20, 1890-1903;

Der Anteil d. Funktion an d. Entstehung v. Nervenkrankheiten (1908)

Ein neuer Apparat z. Zeichnen u. Projizieren, in: Zs. f. wiss. Mikroskopie u. f. mikroskop. Technik 24, 1907

Wege u. Ziele d. Hirnforschung, in: Naturwiss. 1, 1913

mit B. Fischer-Wasels: Ein Mensch ohne Großhirn, in: Pflügers Archiv 152, 1913

Zur Methodik in d. Tierpsychologie, in: Zs. f. Psychologie 70, 1914; Aufbau und Funktion, Untergang und Neubildung der peripheren Nerven (1918)